Klimawandel-bedingte Risiken für Menschen mit rheumatischen Erkrankungen
Bericht:
Ines Schulz-Hanke
Der Klimawandel ist definiert als langfristige Verschiebung der Temperatur- und Wettermuster, die die Folge menschlicher Aktivitäten ist und der planetaren Gesundheit signifikant schadet, so haben es die Vereinten Nationen festgelegt.1 Was Klimawandel-bedingte Umweltexpositionen mit direkten Gesundheitsfolgen für Menschen mit rheumatischen Erkrankungen bedeutet, zeichnet sich – allmählich – ab.
Keypoints
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Es existiert eine robuste Datenlage für die Assoziation zwischen Luftverschmutzung und rheumatologischen Beschwerden.
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Besonders gefährdet sind Menschen mit hoher sozialer und Hitzevulnerabilität.
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Klimawandel-assoziierte Expositionen wie Waldbrände und extreme Hitze sind dringend zu untersuchen.
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Langzeitstudien sind durchzuführen und Kausalzusammenhänge zu bestätigen. Dabei ist auf eine diverse ethnische und sozioökonomische Repräsentation zu achten, Expositionen müssen auch auf individueller Ebene gemessen und psychologische Parameter einbezogen werden.
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Es braucht mehr mechanistische Studien, die klären, wie der Klimawandel die Medikamentenwirksamkeit beeinflussen könnte.
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Wir müssen nicht nur Risiken besser verstehen, sondern auch zu mildern lernen.
Wie der Klimawandel rheumatologische Erkrankungen beeinflusst, sei noch über weite Strecken unbekannt, erklärte Dr. Candace Feldman, Boston, USA, zu Beginn ihres Vortrags auf dem EULAR. Zahlreiche hypothetische Assoziationen würden bisher aus Fachbereichen mit einem bereits tieferen Verständnis abgeleitet, etwa aus der Kardiologie, Pulmonologie oder Nephrologie. Von dort könne man extrapolieren, weil rheumatische Erkrankungen viele Organmanifestationen in diesen Bereichen aufweisen. Feldman stellte jedoch auch eine Reihe von Untersuchungen vor, die sich konkret mit den Assoziationen zwischen Klimawandel und rheumatologischen Erkrankungen befassen. Ihre Arbeitsgruppe hat einen Review erarbeitet, in den sie 89 einschlägige begutachtete Studien einschloss.2
Immunologische und (epi)-genetische Veränderungen als Vermittler
Verschiedene Studien legten nahe, dass Luftverschmutzung und insbesondere Feinstaub sowie extreme Hitze über verschiedene Signalwege mit einer Immundysfunktion assoziiert sein könnten, führte Feldman aus. So habe sich beispielsweise bei Ratten ein Zusammenhang zwischen Feinstaubexposition einerseits und erhöhten Zytokinspiegeln (TNF-α, IL1-β und IL-6) sowie Osteoarthritis (OA) andererseits zeigen lassen.
Darüber hinaus könnten UV-Licht und Luftverschmutzung potenziell oxidativen Stress und epigenetische Veränderungen auslösen und so zu Lupus-erythematodes-Schüben beitragen. Zudem seien Wechselwirkungen zwischen Genom und Umwelt möglich: So trügen Frauen mit einem homozygoten Deletionsgenotyp der Glutathion-S-Transferase M, einem zentralen Entgiftungsenzym in der Leber, bei regelmäßiger signifikanter Sonnenexposition (>2h) möglicherweise ein erhöhtes Lupus-Risiko.2–11
Mehr rheumatoide Arthritis (RA) und Autoantikörper im Feinstaub?
Bisher am besten untersucht ist nach Feldmans Einschätzung der Einfluss der Luftverschmutzung. Grundsätzlich erzeuge die Verbrennung fossiler Kraftstoffe Feinstaub sowie außerdem Treibhausgase, die Atmosphäre, Landmassen und Wasser erwärmten. Infolge meteorologischer Effekte des Klimawandels, etwa veränderter Windmuster, verbreite sich der Feinstaub über größere Bereiche, auch jener aus Waldbränden.2,12,13
Die bislang größte und populationsbasierte Studie aus Italien weise auf eine Assoziation zwischen PM10-Exposition („particulate matter“, ≤10µm) und einer erhöhten RA-Prävalenz hin, außerdem auf eine Verbindung zwischen PM2,5-Exposition und RA sowie Bindegewebserkrankungen.13 Zwei kanadische und eine taiwanesische Studie demonstrierten Zusammenhänge zwischen PM2,5-Exposition und einem erhöhten Risiko für Autoimmunerkrankungen bzw. RA.14–16
Eine US-amerikanische Studie habe ein um 30% erhöhtes RA-Risiko für Menschen festgestellt, die in der Nähe viel befahrener Straßen oder Autobahnen wohnen. Eine Studie aus Taiwan demonstrierte eine Assoziation zwischen langfristiger NO2-Expostion im Wohnumfeld und LE, jedoch eine negative Assoziation zur Kohlenstoffmonoxidexposition. Weitere Studien fanden keinen Zusammenhang zwischen Luftverschmutzung (PM10, PM2,5, Schwefeldioxid [SO2], Stickstoffdioxid [NO2]) und dem Risiko für RA, Kawasaki-Syndrom, juveniler idiopathischer Arthritis und pulmonaler Hypertonie bei Menschen mit rheumatologischer Erkrankung.17–22 Die Erkenntnisse zur Assoziation zwischen Klimawandel und verschiedenen rheumatischen Erkrankungen sei also noch nicht konsistent.
Eine Assoziation zwischen Luftverschmutzung und der Bildung von Autoantikörpern fanden Forschende in einer Querschnittstudie in der Population der US-Veterans-Affairs-RA-Datenbank: Hier ließen sich höhere Konzentrationen des für RA typischen „anti-citrullinated protein antibody“ (ACPA) bei Menschen feststellen, die in der Nähe einer militärischen Müllverbrennungsanlage wohnten. Auch eine populationsbasierte kanadische Studie belegt eine Assoziation zwischen PM2,5-/ SO2-Exposition und ACPA-Positivität.23–26
Mehr Krankheitsschübe bei Hitze und Luftverschmutzung
In einer koreanischen Studie sei der Bedarf an Notfallversorgung aufgrund von Gichtschüben mit höheren PM10-Konzentrationen gestiegen. Eine Untersuchung aus Hongkong habe vermehrte Lupus-erythematodes(LE)-bedingte Hospitalisierungen nach Temperaturextremen gezeigt. Und ein Anstieg der Luftschadstoffe sei mit erhöhten CRP-Spiegeln und nachfolgenden versorgungsbedürftigen RA-Schüben in einer italienischen Kohorte verbunden gewesen. Eine chilenische Studie habe dokumentiert, dass SO2- und PM2,5-Exposition mit einem höheren LE-Hospitalisierungsrisiko verbunden war.27–29 Zudem waren Schadstoffe wie NO2 und CO (Kohlenstoffmonoxid) mit einem erhöhten Hospitalisierungsrisiko aufgrund des Sjögren-Syndroms verbunden, während SO2 und O3 (Ozon) in einer chinesischen Studie dieses Risiko zu senken schienen.30, 31
Italienische Daten aus einer Querschnittstudie hätten eine Assoziation zwischen höheren Konzentrationen des Verkehrsschadstoffes NO (Stickoxid) und dem Versagen biologischer DMARDs oder eines Medikamentenwechsels 60 Tage später gezeigt, so Feldman.32 Die Frage, ob Schadstoffexpositionen die Medikamentenwirksamkeit reduzieren können, sei besonders interessant.
Expositionsungerechtigkeit: Wie und wo wohnen meine Patient:innen?
In den USA gebe es strukturellen Rassismus, der aus einem nachhaltigen Divestment in Stadtteilen resultiere, in denen vermehrt Menschen mit geringem Durchschnittseinkommen und Mitglieder marginalisierter ethnischer Gruppen leben, kritisierte Feldman. Sie seien in diesen Stadtteilen schädlichen Umwelteinflüssen oft überproportional ausgesetzt. Verschärft werde die Situation dadurch, dass infolge des Divestments auch Infrastruktur und Ressourcen fehlten, um diesen schädlichen Expositionen zu begegnen. Konkret seien Stadtteile mit geringem Durchschnittseinkommen signifikant häufiger Hitzeinseln mit weniger Grünflächen, mehr Flächenversiegelung und signifikant höheren Temperaturen ausgesetzt.
Es gebe eine Reihe von Studien, die einen starken Zusammenhang zwischen Stadtteilarmut und der ungünstigen und ungleichen Entwicklung rheumatologischer Erkrankungen zeigten. Bislang sei jedoch wenig dazu geforscht worden, wie soziale Vulnerabilität (Armut) und schädliche Umweltexpositionen gemeinsam die beobachtete Versorgungsungerechtigkeit beeinflussten.33–38
Feldman stellte hierzu eine Studie ihrer eigenen Arbeitsgruppe vor. Man habe im Rahmen dieser Analyse den Vulnerabilitätsindex der Centers for Disease Control and Prevention (CDC) genutzt, der vier Subindices enthält:
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sozioökonomischer Status,
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Haushaltszusammensetzung und Erwerbs-/Leistungsminderung,
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Minoritätsstatus und Sprache sowie
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Wohnungstyp und Transport.
Hiermit ließen sich Nachbarschaften mit hoher sozialer Vulnerabilität (SVI) identifizieren, die das höchste Risiko für schädliche Entwicklungen im Katastrophenfall tragen.
Diesen Index für soziale Vulnerabilität haben die Forschenden um Feldman mit dem Hitze-Vulnerabilitätsindex (HVI) des Metropolplanungsrats in Boston kombiniert. Seine drei Variablen geben die Empfindlichkeit gegenüber Hitzeexposition wieder:
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Exposition (Landtemperatur, Hitzeinseln, Wohneinheiten),
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Empfindlichkeit (Alter, Beschäftigung, Gesundheit, Wohnung, demografische Daten) und
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Adaptationsfähigkeit (Zugang zu Informationen, finanzielle Ressourcen, Ethnie).
Hierzu gehört auch der Internetzugang, der es erlaubt, auf einen Klimanotfall wie extreme Hitze zu reagieren.39, 40
Für ihre Analyse identifizierte die Arbeitsgruppe 14000 Individuen mit rheumatologischer Erkrankung, die im Massachusetts-Multi-Klinik-System versorgt wurden, geocodierte ihre Adressen und verknüpfte diese mit dem SVI sowie dem HVI.34 Über zwei Jahre beobachteten sie dann das Risiko für wiederholte Hospitalisierungen (1–3 vs. ≥4) bei diesen Menschen. Für die Auswertung wurden individuelle Zerrfaktoren (Alter, Geschlecht, Ethnie, Versicherung, Komorbiditäten) berücksichtigt.
Menschen, die in den am stärksten sozial gefährdeten Bereichen leben, haben ein zweifach höheres Risiko für wiederholte Hospitalisierungen (≥4). In den am stärksten hitzegefährdeten Bereichen war dieses Risiko 1,6-mal höher als in den am schwächsten hitzegefährdeten. Als am stärksten erwies sich die Verknüpfung mit der adaptiven Kapazität, also veränderbaren Parametern wie dem Zugang zu Informationen und Internet. Für Menschen mit rheumatologischen Systemerkrankungen oder Kristallarthropathien fanden sich signifikante Assoziationen mit dem SVI und dem HVI, berichtete Feldman.34
Soziale Vulnerabilität und Umweltbelastung erzeugen schlechtere Versorgung
Die zu den CDC gehörende Agency for Toxic Substances and Disease Registry hat einen neuen Index erarbeitet, das ATSDR Social Environmental Ranking. Dieses liefert eine Kombination aus sozialer Vulnerabilität und Umweltbelastung, wie Wasserverschmutzung, Luftverschmutzung, Infrastruktur im Stadtteil. Der Index klassifiziere Stadtteile nach dem Ausmaß der kombinierten Belastung durch diese beiden Faktoren, erklärte Feldman.41 In einer aktuellen Analyse habe sich feststellen lassen, dass in derart am stärksten belasteten Stadtteilen ein stark signifikant höheres Risiko für eine Versorgungsfragmentierung besteht, berichtete Feldman.42 Diese Fragmentierung beeinflusse die Versorgungsgerechtigkeit rheumatologisch Erkrankter direkt: Denn Menschen, die ihre übliche Versorgung in einer Notfallambulanz erhielten und ihre Arzttermine verpassten, würden seltener auf DMARDs eingestellt. Sie erhielten häufiger wiederholt Steroide und hätten häufiger unzureichende Therapieergebnisse. In den am stärksten belasteten Stadtteilen lasse sich ein dreifach höheres Risiko für Notfallversorgung beobachten als in den am geringsten belasteten, ein fast zweifach höheres Risiko für wiederholt versäumte Arzttermine und ein gut eineinhalbfach höheres Risiko für wiederholte Hospitalisierungen.42
Selbst handeln: REACT Rheum
Die von Dr. Candace Feldman und weiteren Forscherinnen und Forschern gebildete Gruppe „Rheumatology Enganged in Action for Climate Health“ hat eine Website erstellt (
www.reactrheum.org
) – und große Ziele. Die Gruppe will:
• die rheumatologische Community schulen: Betroffene und Versorger
• Netzwerke bilden zwischen internationalen rheumatologischen Organisationen
• Forschung und Lobbyarbeit fördern
• Online-Schulungen zu Klima, Gesundheit und Nachhaltigkeit anbieten
REACT Rheum soll eine Schnittstelle für synergistische Anstrengungen des American College of Rheumatology (ACR), der EULAR und weiterer rheumatologischer und medizinischer Fachgesellschaften sein. Im Zentrum stehe das Ziel, dem Planeten und der Patientengesundheit zu helfen und die koordinierte Forschung über die Ländergrenzen hinweg voranzutreiben.
Quelle:
„Impact of Planetary Health on Patients with Rheumatologic Conditions“, Vortrag von Dr. Candace Feldman, Boston, USA, im Rahmen des Symposiums „Planetary Health“ beim EULAR 2024, 14. Juni 2024, Wien
Literatur:
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