«Die akute Herzinsuffizienz wäre in einem Grossteil der Fälle vermeidbar»
Bericht:
Dr. rer. nat. Torsten Banisch
Medizinjournalist
Vielen Dank für Ihr Interesse!
Einige Inhalte sind aufgrund rechtlicher Bestimmungen nur für registrierte Nutzer bzw. medizinisches Fachpersonal zugänglich.
Sie sind bereits registriert?
Loggen Sie sich mit Ihrem Universimed-Benutzerkonto ein:
Sie sind noch nicht registriert?
Registrieren Sie sich jetzt kostenlos auf universimed.com und erhalten Sie Zugang zu allen Artikeln, bewerten Sie Inhalte und speichern Sie interessante Beiträge in Ihrem persönlichen Bereich
zum späteren Lesen. Ihre Registrierung ist für alle Unversimed-Portale gültig. (inkl. allgemeineplus.at & med-Diplom.at)
Die Ursachen und Symptome einer Herzinsuffizienz bleiben oftmals über einen langen Zeitraum unerkannt und benötigen im Falle einer akuten Erkrankung eine Vielzahl an multidisziplinären Massnahmen. Prof. Dr. med. Christian Müller vom Universitären Herzzentrum Basel stellte am SGAIM-Frühjahrskongress praxisnahe Managementalgorithmen und die akute Behandlung mit Ausblick auf die Langzeittherapie vor.
Keypoints
-
Die akute Herzinsuffizienz (AHF) ist häufig und mit hohen Kosten verbunden.
-
Die AHF ist oft vermeidbar.
-
In unklaren Fällen kann mittels NT-proBNP-Bestimmung eine AHF bestätigt oder ausgeschlossen werden.
-
Die Höhe der NT-proBNP-Cut-off-Werte ist abhängig vom Alter.
-
Die initiale Behandlung der AHF umfasst eine diuretische Therapie und je nach Auslöser der AHF eine spezifische Behandlung des Auslösers.
-
Es bewährt sich, eine diuretische Kombinationstherapie aus Schleifendiuretikum plus SGLT2i plus evtl. Spironolacton zu installieren.
-
Das Zielgewicht ist erreicht, wenn das Kreatinin leicht ansteigt.
-
Die weiterführende medikamentöse HF-Therapie mit ACEi/ARNI, Betablocker, MRA und SGLT2i soll bereits im Spital begonnen werden.
-
Vor der Entlassung muss der erste Termin für die ambulanten Auftitrationsvisiten vereinbart werden.
Die akute Herzinsuffizienz (AHF) ist ein häufiges Krankheitsbild mit global 64,3 Millionen Betroffenen und einer Mortalität von 15–30% pro Jahr. Die Anzahl der Hospitalisierungen liegt in der EU und den USA bei jährlich etwa einer Million Patient:innen, was unter anderem eine starke Belastung für die Gesundheitssysteme darstellt.1 «Der Hauptgrund für diese hohen Zahlen ist die sehr oft zu spät gestellte Diagnose einer Herzinsuffizienz. Die Symptome sind zumeist unspezifisch und nehmen nur graduell zu und werden von uns Ärztinnen und Ärzten nicht erkannt», so Müller.
Durch eine frühere Erkennung könnte ein Grossteil der Krankenhausaufenthalte vermieden und die damit verbundenen hohen Kosten reduziert werden. So geht man davon aus, dass bei 50% der Patient:innen, die mit einer AHF hospitalisiert werden, bereits seit Wochen oder Monaten unerkannt Symptome einer Herzinsuffizienz (HF) vorlagen. Aktuelle Daten aus der Schweiz stützen diese Annahme und konnten zeigen, dass bei 26% von 3623 untersuchten Patient:innen (≥65 Jahre) eine unerkannte HF und nur bei 3% eine bereits diagnostizierte HF vorlag. Die restlichen 71% hatten keine HF.2 Diese Resultate wurden in zwei weiteren Kohorten mit 970 und 1563 Patient:innen bestätigt.2
Diagnostik: NT-proBNP als quantitativer Marker für die AHF
«Bei Patienten, die mit akuter Atemnot vorstellig werden, ist – eigentlich wie immer in der Medizin – die Anamnese von zentraler Bedeutung. Oft kann schon anamnestisch geklärt werden, ob eine pulmonale oder ein kardiale Ursache vorliegt. Schwierig wird es bei Patient:innen, die bekannte pulmonale und kardiale Erkrankungen haben», so Müller. Auch körperliche Untersuchung, EKG oder Röntgenanalysen können nicht immer zweifelsfrei über eine AHF Aufschluss geben. Ein wichtiges Hilfsmittel ist hier der Wert des NT-proBNP (N-terminales pro-B-Typ-natriuretisches Peptid). ProBNP ist ein im Herzen gebildetes Prohormon, das ausgeschüttet wird, wenn die Herzwand zu stark gedehnt ist. Im Falle einer HF führt die reduzierte Leistungsfähigkeit des Herzens zu einer Volumenexpansion und Hormonausschüttung. Das Prohormon wird dann in das inaktive aminoterminale Fragment NT-proBNP und das biologisch aktive BNP gespalten, welches zu einer Myokardrelaxation führt und der Vasokonstriktion, der Natriumretention und den antidiuretischen Wirkungen des Renin-Angiotensin-Aldosteron-Systems entgegenwirkt.3,4 «NT-proBNP ist perfekt für die Diagnose und die Bestimmung des Schweregrads einer akuten Herzinsuffizienz, es gibt aber keinen Aufschluss über die Ätiologie»,5 sagte der Kardiologe. Die Ätiologie muss über eine anschliessende Bildgebung geklärt werden.
Bei einem NT-proBNP <300pg/ml kann eine AHF mit grosser Wahrscheinlichkeit ausgeschlossen werden. Die Schwellenwerte für das Vorliegen einer AHF sind altersabhängig: Bei <50-Jährigen liegt der Wert bei einem NT-proBNP >450pg/ml, bei 50- bis 75-Jährigen bei >900pg/ml und bei >75-Jährigen bei >1800pg/ml.6 Der Cut-off kann auch bei Komorbiditäten abweichen. So sollte er z.B. bei adipösen Patient:innen um 50% reduziert werden.6
Mit diesem Vorgehen können bis zu 80% der Patient:innen mit hoher Sicherheit diagnostiziert werden. Klinische Zeichen, wie eine Vorgeschichte mit HF, eine Halsvenenstauung, ein dritter Herzton, eine Kardiomegalie, eine pulmonal-venöse Stauung oder ein tachykardes Vorhofflimmern sind, sofern vorhanden, sehr hilfreich und erhöhen die Wahrscheinlichkeit für das Vorliegen einer AHF. Ihr Fehlen erlaubt jedoch den Ausschluss einer AHF nicht.
In der täglichen Praxis wird empfohlen, einen Managementalgorithmus für akute Dyspnoe (ABC-Algorithmus) anzuwenden:
A) Sind die Atemwege frei?
B) Sauerstoffsättigung, Atemfrequenz, Lungenauskultation, venöse Blutgasanalyse (VBGA)
C) Blutdruckmessungen, EKG
Anschliessend muss der akute Auslöser der HF festgestellt werden. In der Praxis bietet das Akronym «CHAMPIT» eine gute Hilfestellung, um keine der möglichen Ursachen zu übersehen, die eine spezifische Behandlung benötigt:7
-
C: akutes Koronarsyndrom
-
H:hypertensive Krise
-
A: Arrhythmien
-
M: mechanische Gründe wie ein Mitralsegelabriss
-
P: Lungenembolie
-
I: systemischer Infekt
-
T: Tamponade
Angepasste initiale Behandlungskonzepte
Die initale Behandlung einer AHF besteht in der i.v. Gabe eines Schleifendiuretikums (Furosemid ≥20–40mg i.v. bei Patient:innen, die vorher kein orales Schleifendiuretikum genommen haben). Das weitere Management der diuretischen Behandlung ist in Abbildung 1 dargestellt. «Für die initiale Kontrolle der Diurese muss man nicht zwingend wie in den Leitlinien empfohlen die Natriumkonzentration im Urin messen.7 Wenn der Patient innert zwei Stunden zweimal Wasser gelöst hat, können Sie davon ausgehen, dass die Furosemid-Dosis reicht und alle 12 Stunden wiederholt werden kann», riet Müller. Bei Vorliegen eines grossen Pleuraergusses, sollte dieser drainiert werden, um rasch eine Verbesserung der Symptome zu erreichen.
Abb. 1: Diuretische Therapie mit Furosemid bei akuter Herzinsuffizienz (modifiziert nach McDonagh TA 2021)7
Gestützt durch aktuelle Daten werden in der Praxis oftmals Kombinationstherapien eingesetzt. So kann die frühe Kombination von Furosemid mit einem SGLT2-Inhibitor plus ggf. Spironolacton und Acetazolamid/Metolazon aufgrund der synergistischen diuretischen Effekte der Wirkstoffe von Nutzen sein.8–10
Die routinemässige Gabe von Opiaten wird aufgrund der Evidenzlage nicht empfohlen, mit Ausnahme bei ausgewählten Patient:innen mit schweren Schmerzen oder Ängsten.7 Eine zusätzliche Gabe von Vasodilatatoren hat gemäss Datenlagen ebenfalls keinen generellen Nutzen bei AHF.11
Je nach Auslöser der AHF muss initial zusätzlich eine spezifische Behandlung eingeleitet werden.7 Bei Vorliegen eines Vorhofflimmerns beispielsweise muss gleichzeitig mit der diuretischen Therapie auch die spezifische Behandlung, nämlich Antikoagulation, Frequenz- und Rhythmuskontrolle, begonnen werden.Für die Frequenzkontrolle kommen Betablocker und Digoxin infrage, für die pharmakologische Rhythmuskontrolle wird Amiodaron empfohlen.7 Betablocker sind bei Patient:innen mit hohen Blutdruckwerten sicher. Sind die Werte jedoch grenzwertig normoton oder niedrig, ist Vorsicht geboten und es muss die niedrigste Dosis gewählt werden. «Digoxin wird meines Erachtens viel zu selten verwendet. Gerade bei Patient:innen mit AHF, die durch eine Tachyarrhythmie und grenzwertige Blutdruckwerte getriggert wird, ist Digoxin sehr effizient und sehr sicher»,12 führte Müller aus.
Start der Langzeittherapie
«Die Herzinsuffizienz ist keine einheitliche Erkrankung, sondern ihr liegen andere Krankheiten zugrunde. So muss nach der akuten diuretischen Behandlung die Grundlage der Herzinsuffizienz abgeklärt werden, um zu entscheiden, welche Langzeittherapie zum Einsatz kommen soll», erklärt Müller. Eine Bildgebung kann hierbei ermitteln, ob es sich um eine HF mit reduzierter linksventrikulärer Ejektionsfraktion (HFrEF, circa 50% der Patient:innen), HF mit erhaltener Ejektionsfraktion (HFpEF, circa 50% der Patient:innen), oder seltener eine schwere Herzklappenerkrankung oder eine rechtsventrikuläre Problematik handelt.6
Bei HFrEF soll eine Kombinationstherapie mit den «fantastischen Vier» – ACE-Hemmer/Angiotensin-Rezeptor-Neprilysin-Inhibitor (ARNI) plus β-Blocker plus Mineralokortikoid-Rezeptorantagonisten (MRA) plus SGLT2i – eingeleitet werden.7 Um einen hohen Nutzen aus der additiven Wirkung der Medikamente zu ziehen, ist es wichtig, diese Kombinationstherapie so früh wie möglich und vor allem mit allen Wirkstoffen simultan zu starten.
Bei HFpEF kommen MRA plus SGLT2i zum Einsatz.7
Essenzielle Massnahmen vor der Entlassung und zur Nachkontrolle
Vor dem Absetzen der Diuretika sollten die Patient:innen keine Dyspnoe, keine Rasselgeräusche, keine Halsvenenstauung, keine Ödeme und eine Hämokonzentration aufweisen. «Um das Zielgewicht zu bestimmen, ist es nicht zielführend, die Patient:innen nach ihrem normalen Gewicht zu fragen, da die Angaben oft sehr ungenau sind. Messen Sie stattdessen das Kreatinin», riet Müller. Ein leichter Anstieg des Kreatininwerts deutet nämlich auf das Erreichen des Zielgewichts und damit der Euvolämie hin. Die Patient:innen sollten mit einer Torasemid-Dosis von 10mg (20–50mg bei verminderter eGFR) entlassen werden.13
Zudem ist es wichtig, vor der Entlassung aus dem Spital verbindliche Nachkontrollen (Auftitrationsvisiten) zu vereinbaren. Die erste ambulante Kontrolle sollte in der ersten Woche nach der Entlassung stattfinden. Anlässlich dieser Visiten werden klinische und labormässige Kontrollen durchgeführt und die Dosis der Medikamente schrittweise einzeln auftitriert, bis die optimale Dosis erreicht ist und der Patient stabil eingestellt ist (Abb. 2).14
Abb. 2: Ambulante Nachkontrollen (Auftitrationsvisiten) nach akuter Herzinsuffizienz (modifiziert nach Müller et al. 2020)14
Quelle:
Frühjahrskongress der SGAIM, 29. bis 31. Mai 2024, Basel
Literatur:
1 Savarese G et al.: Global burden of heart failure: a comprehensive and updated review of epidemiology. Cardiovasc Res 2023; 118: 3272-87 2 Rumora K et al.: Undetected heart failure in tertiary care: prevalence, predictors and outcomes. Eur Heart J 2024; 45 (Suppl.1): ehae666.913 3 Maeda K et al.: Plasma brain natriuretic peptide as a biochemical marker of high left ventricular end-diastolic pressure in patients with symptomatic left ventricular dysfunction. Am Heart J 1998; 135: 825-32 4 Nakagawa O et al.: Rapid transcriptional activation and early mRNA turnover of brain natriuretic peptide in cardiocyte hypertrophy. Evidence for brain natriuretic peptide as an „emergency“ cardiac hormone against ventricular overload. J Clin Invest 1995; 96: 1280-7 5 Maisel A et al.: State of the art: using natriuretic peptide levels in clinical practice. Eur J Heart Fail 2008; 10: 824-39 6 Mueller C et al.: Heart Failure Association of the European Society of Cardiology practical guidance on the use of natriuretic peptide concentrations Eur J Heart Fail 2019; 21: 715-31 7 McDonagh TA et al.: 2021 ESC Guidelines for the diagnosis and treatment of acute and chronic heart failure. Eur Heart J 2021; 42: 3599-726 8 Mullens W et al.: The use of diuretics in heart failure with congestion - a position statement from the Heart Failure Association of the European Society of Cardiology. Eur J Heart Fail 2019; 21: 137-55 9 Voors AA et al.: The SGLT2 inhibitor empagliflozin in patients hospitalized for acute heart failure: a multinational randomized trial. Nat Med 2022; 28: 568-74 10 Mullens W et al.: Acetazolamide in acute decompensated heart failure with volume overload. N Engl J Med 2022; 387: 1185-95 11 Kozhuharov N et al.: Effect of a strategy of comprehensive vasodilation vs usual care on mortality and heart failure rehospitalization among patients with acute heart failure: the GALACTIC randomized clinical trial. JAMA 2019; 322: 2292-302 12 Shrestha S et al.: Efficacy and safety of digoxin in acute heart failure triggered by tachyarrhythmia. J Intern Med 2022; 292: 969-72 13 Breidthardt T et al.: Impact of haemoconcentration during acute heart failure therapy on mortality and its relationship with worsening renal function. Eur J Heart Fail 2017; 19: 226-36 14 Mueller C et al.: S Roadmap for the treatment of heart failure patients after hospital discharge: an interdisciplinary consensus paper. Swiss Med Wkly 2020; 150: w20159
Das könnte Sie auch interessieren:
ESC gibt umfassende Empfehlung für den Sport
Seit wenigen Tagen ist die erste Leitlinie der ESC zu den Themen Sportkardiologie und Training für Patienten mit kardiovaskulären Erkrankungen verfügbar. Sie empfiehlt Training für ...
ESC-Guideline zur Behandlung von Herzvitien bei Erwachsenen
Kinder, die mit kongenitalen Herzvitien geboren werden, erreichen mittlerweile zu mehr 90% das Erwachsenenalter. Mit dem Update ihrer Leitlinie zum Management kongenitaler Vitien bei ...
Inclisiran bei Patienten mit Statinintoleranz wirksam und sicher
Eine Analyse statinintoleranter Patienten aus dem Phase III Studienprogramm ORION zeigt, dass Inclisiran die LDL-Cholesterinspiegel kardiovaskulärer Hochrisikopatienten, die kein Statin ...