
Transkatheter-Klappenersatz: eine Erfolgsgeschichte seit 25 Jahren
Unser Gesprächspartner:
Prim. Priv.-Doz. Dr. Ronald K. Binder
Abteilung für Innere Medizin II, Kardiologie, Intensivmedizin am Klinikum Wels-Grieskirchen
E-Mail: ronald.binder@klinikum-wegr.at
Das Interview führte Reno Barth
Im Jahr 2000 wurde erstmals bei einem Menschen auf interventionellem Weg eine künstliche Herzklappe in Pulmonalposition eingesetzt. Danach hat sich TAVI („transcatheter aortic valve implantation“) als Standard für einen immer größeren Kreis von Patient:innen durchgesetzt. Im Vergleich dazu verlief die Entwicklung beim interventionellen Ersatz der Atrioventrikularklappen etwas langsamer. Über den aktuellen Stand sprachen wir mit Prim. Priv.-Doz. Dr. Ronald K. Binder, Abteilung für Innere Medizin II, Kardiologie, Intensivmedizin am Klinikum Wels-Grieskirchen.
Herr Doz. Binder, als Sie begannen, sich mit Herzklappen zu beschäftigen, wie war da die Situation? Was hatte man zur Verfügung?
R. Binder: Als ich mit meiner ärztlichen Ausbildung begann, gab es noch keine Transkatheter-Herzklappen. Es gab die Ballonvalvuloplastie der Aortenklappe, die allerdings keine nachhaltigen Erfolge brachte, es gab die Ballonvalvuloplastie der Mitralklappe, die seit den 1980er-Jahren etabliert war, und es gab auch die Ballonvalvuloplastie der Pulmonalklappe bei angeborener Stenose. Die Klappentherapie war zum allergrößten Teil eine Angelegenheit der Herzchirurgie. Diese Situation hat sich in den vergangenen 20 Jahren grundlegend und revolutionär verändert. Wichtige Vorarbeiten dafür hat Henning Anderson in Dänemark im Tiermodell mit selbst gebauten Stents und Klappen geleistet. Dabei entwickelte er Techniken, die wir heute noch anwenden. Es ist erstaunlich, dass es damals zehn Jahre dauerte, bis man mit diesen Techniken den Schritt vom Tier zum Menschen wagte. Beim Menschen wurde die erste Transkatheterklappe im Jahr 2000 eingesetzt – zuerst in der Pulmonalisposition und kurze Zeit später auch in der Aortenposition. Und dann ging es Schlag auf Schlag. Seit 2024 steht nun auch eine Transkatheterklappe für die Trikuspidalposition zur Verfügung. Man hat also mittlerweile für alle vier Herzklappen zugelassene Transkatheterklappenprodukte, die man interventionell, also am schlagenden Herzen ohne großen operativen Eingriff, einsetzen kann.
Wurde diese Klappe ursprünglich als Pulmonalisersatz entwickelt?
R. Binder: Ja, dazu wurde die Venenklappe aus der Halsvene eines Rindes entnommen, in einen Platin-Iridium-Stent eingenäht, dieser auf einen Ballon gefaltet und über die Leiste, durch die Trikuspidalklappe und die rechte Herzkammer in die Pulmonalisposition vorgeschoben und dort mit dem Ballon expandiert. Das war eine Pionierarbeit, die Philipp Bonhoeffer in Paris durchführte. Das Ergebnis war ausgezeichnet.
Und wie ging es dann weiter?
R. Binder: Zwei Jahre später wurde ebenfalls in Frankreich von Alain Cribier erstmals eine Transkatheter-Aortenklappe, ebenfalls über die Leiste, implantiert. Der Patient war Mitte 50, multimorbid und befand sich im kardiogenen Schock. Das entspricht also auch nicht der Klientel, die wir heute mit TAVI behandeln, sondern es handelte sich um eine außergewöhnliche Situation und es wurde eine Technik verwendet, die wir so heute auch nicht mehr verfolgen. Der Zugang erfolgte über die rechte Leiste, über die Vene in den rechten Vorhof, dann wurde das Septum punktiert und die Klappe aus dem linken Vorhof durch die Mitralklappe in den linken Ventrikel vorgeschoben, wo sie nach einer 180-Grad-Kurve antegrad in ihre Position gebracht wurde. Die Prozedur erfolgte ohne Vollnarkose im Katheterlabor. Das hat zwar gut funktioniert, war jedoch so kompliziert, dass es nicht so leicht reproduziert wurde. John Webb in Kanada wählte dann als Erster einen Zugang über die Arterie und brachte die zusammengefaltete Klappe retrograd in Aortenposition. Das war eine reproduzierbare Technik, nach der eine Reihe von Patient:innen behandelt wurde. Das war 2005. Ab 2007 hatten wir die ersten CE-zertifizierten TAVI-Klappen in Europa.
Und wie kamen Sie in dieses Arbeitsfeld?
R. Binder: Ich hatte das Glück, dass ich von Anfang an, also ab 2007, dabei sein konnte, als das Aortenklappenprogramm – damals in der Schweiz – gestartet wurde. Im Verlauf hat sich die Technik weltweit verbreitet und wird heute im Falle der Aortenklappe schon häufiger angewandt als der chirurgische Klappenersatz.
Anfangs waren TAVI-Kandidaten ja Patient:innen, denen man den chirurgischen Klappenersatz aufgrund von Alter oder Grunderkrankungen nicht zumuten wollte oder konnte. Wie sieht heute der Kandidatenkreis aus?
R. Binder: Am Anfang wurden Patient:innen mit TAVI behandelt, die ein prohibitives chirurgisches Risiko hatten – die also zu alt oder zu krank für eine offene Herzoperation waren. Statt diese Menschen ihrem Schicksal zu überlassen, hat man den Transkatheter-Aortenklappenersatz versucht, ohne zu wissen, welches längerfristige Ergebnis damit erreicht wird. Dabei zeigte sich, dass die Patient:innen sehr deutlich von der Behandlung profitierten. In der prospektiven, kontrollierten PARTNER-I-Studie wurde TAVI mit konservativer Behandlung – also de facto mit „gar nichts machen“ oder Ballonvalvuloplastie – verglichen. Das Ergebnis war eine Reduktion der Gesamtmortalität um 20% bereits im ersten Jahr. Das ist beeindruckend. Es gibt in der Medizin nur wenige Interventionen, für die eine so dramatische Verlängerung des Überlebens gezeigt werden konnte. Während man also in der ersten Zeit die Indikation für TAVI oder Chirurgie nach dem chirurgischen Risiko stellte, gibt es heute für alle Risikobereiche – also hoch, intermediär oder niedrig – Studien, die zeigen, dass die TAVI der Chirurgie nicht unterlegen und in machen Bereichen sogar überlegen ist. Man trifft die Entscheidung heute also nach Alter, Komorbiditäten und den anatomischen Gegebenheiten. Es ist eine individuelle Entscheidung.
Früher hieß es, dass die TAVI zwar mit einem niedrigeren Risiko durch den Eingriff verbunden ist, dafür aber ein höheres Schlaganfallrisiko mit sich bringt.
R. Binder: Mit den modernen Prothesen und Delivery-Systemen ist das Schlaganfallrisiko bei der TAVI nicht mehr höher als beim chirurgischen Klappenersatz.
Gab es in den Jahren, in denen Sie sich mit Klappenerkrankungen beschäftigen, auch Enttäuschungen?
R. Binder: Eine echte Enttäuschung kann ich jetzt nicht benennen. Eine Erwartung, die nicht so schnell erfüllt wurde wie gedacht, waren die Transkatheterklappen für andere Positionen als die Aortenposition. Wir dachten, auf die TAVI würden in kurzer Zeit auch Transkatheterprothesen aller anderen Klappen folgen. Doch das war schwieriger als gedacht und ist bis heute noch nicht ausgereift. Die erste Transkatheter-Mitralklappe wurde 2012 implantiert, aber in dieser Form nicht weiterverfolgt. Es gibt derzeit eine zugelassene Klappe, die allerdings transapikal eingesetzt wird, d.h., dass der Brustkorb zwischen den Rippen eröffnet und die Klappe durch das Myokard geschoben wird. Bei diesem Eingriff ist die Patientenselektion sehr wichtig und bei Weitem nicht alle Patient:innen kommen dafür infrage. Unsere Hoffnung war, dass eine Transkatheter-Mitralklappe auf den Markt kommt, die man von der Leiste aus über die Vene und eine transseptale Punktion voll perkutan implantieren kann. Das haben wir leider bis heute nicht auf dem Markt.
Woran liegt das?
R. Binder: Das liegt daran, dass die atrioventrikulären Klappen von ihrem Aufbau her wesentlich komplexer sind als die Aorten- oder Pulmonalklappen. Deshalb ist diese Entwicklung noch im Gange. Was allerdings die Therapie der AV-Klappen revolutioniert hat, war die perkutane Reparatur, also das Mitralklappen-Clipping bzw. das Trikuspidalklappen-Clipping.
Wie ist denn die Datenlage zu diesen Interventionen?
R. Binder: Zum Mitra-Clip gibt es mittlerweile mehrere Studien, die gegenüber der konservativen Therapie einen deutlichen Vorteil gezeigt haben. Es gibt auch Vergleichsstudien gegenüber der Chirurgie, in denen der Clip gut abschneidet. Der Clip ist gekommen, um zu bleiben.
Wie würde man heute bei den AV-Klappen die Indikation für Intervention oder Chirurgie stellen?
R. Binder: Die Chirurgie hat bei der isolierten Trikuspidalinsuffizienz nicht die Erfolge wie bei den anderen Klappen. Daher versuchen wir, insbesondere bei Patient:innen mit höherem Alter oder Komorbiditäten, hier eher ein minimalinvasives Vorgehen zu wählen. Die sekundäre Insuffizienz der Mitralklappe bei Herzinsuffizienz ist ebenfalls eine Domäne der perkutanen Reparatur. Die primäre Mitralinsuffizienz bei jüngeren Patient:innen mit wenigen Begleiterkrankungen ist in aller Regel ein Fall für die Chirurgie.
Apropos jüngere Patient:innen: Es bestand ja die Sorge, dass TAVI-Klappen weniger lang halten als chirurgisch ersetzte Klappen, was bei langer Lebenserwartung zum Problem werden könnte. Konnte diese Sorge entkräftet werden?
R. Binder: Derzeit gibt es keinen Hinweis, dass TAVI-Klappen weniger lang halten als chirurgisch ersetzte Klappen. Es spricht auch wenig dafür. Beispielsweise sind die Taschen der chirurgischen Edwards-Magna-Klappe und der interventionellen Sapien-Klappe von Edwards aus demselben Material. Da sind keine Unterschiede zu erwarten. Es gibt allerdings Überlegungen, dass das Crimping zu Veränderungen führt, die eine Degeneration begünstigen, aber das hat sich bislang nicht bestätigt. Man kann also davon ausgehen, dass TAVI-Klappen und chirurgisch ersetzte Klappen gleich lang halten. Wenn es um das Lifetime-Management geht, ist die wichtigere Frage, wie man zu einem späteren Zeitpunkt die Koronarien erreichen kann.
Ob man also noch eine interventionelle Versorgung durchführen kann, wenn es einmal zu einem Infarkt kommt?
R. Binder: Ja, zu irgendeiner Form des akuten Koronarsyndroms oder zu einer koronaren Herzkrankheit, die eine Intervention erforderlich macht. Das betrifft vor allem jüngere Patient:innen, bei denen zu erwarten ist, dass sie die Degeneration der Klappe noch erleben. Da ist dann die Frage, ob man eine TAVI in die TAVI setzen kann, ohne dadurch den Zugang zu den Koronararterien zu erschweren. Wenn sich diese Frage stellt, wenn die Patient:innen vielleicht alt und nicht mehr fit für die Chirurgie sind, dann hat man ein Problem. Man muss also vorausdenken und überlegen, was man in vielen Jahren vielleicht wird machen müssen.
Was erwarten Sie von der Zukunft?
R. Binder: Ich erwarte die Ausweitung des Einsatzes von TAVI auf die reine Insuffizienz der Aortenklappe. Da gibt es derzeit eine zugelassene Klappe, die aber noch nicht weitverbreitet ist. Hier wird es wohl in den nächsten Jahren eine beschleunigte Entwicklung geben. Ebenso bei der Trikuspidalklappe. Da haben wir derzeit eine zugelassene Klappe, aber da wird bald mehr kommen. Und natürlich besteht weiterhin die Hoffnung auf eine transseptal und antegrad einsetzbare Mitralklappe, die sich für einen größeren Kreis von Patient:innen eignet.
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