Verpackung des stillgelegten X-Chromosoms erklärt höhere Prävalenz
Bericht:
Dr. Felicitas Witte
geprüft von:
Dr. Leonhard Heinz
Universitätsklinik für Innere Medizin III
Medizinische Universität Wien
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Autoimmunkrankheiten betreffen häufger Frauen als Männer. Forscher von der Universität Stanford haben eine Erklärung gefunden: Es könnte daran liegen, dass Frauen Autoantikörper gegen die Verpackung des abgeschalteten X-Chromosoms bilden.1
Vier von fünf Menschen mit einer Autoimmunkrankheit sind Frauen. Schon seit Längerem wird vermutet, dass das X-Chromosom hierbei eine Rolle spielt, unabhängig vom hormonellen Status. So sind beispielsweise Patienten mit Klinefelter-Syndrom – also mit einem Y- und zwei X-Chromosomen – phänotypisch männlich und haben männliche Hormonprofile. Doch ihr Risiko, eine Autoimmunkrankheit zu bekommen, ist vergleichbar hoch wie bei Frauen.
Bekanntlich haben gesunde Frauen zwei XX-Chromosomen und gesunde Männer ein X- und ein Y-Chromosom. Ein X-Chromosom bei Frauen wird in allen Körperzellen komplett oder weitestgehend stillgelegt, damit bei Männern und Frauen ähnlich viele Gene vom X-Chromosom abgelesen werden. Welches X-Chromosom inaktiviert wird, ist vom Zufall abhängig. Die X-Inaktivierung findet in der frühen Embryonalentwicklung statt, indem eine spezielle Ribonukleinsäure (RNA) an das X-Chromosom bindet. Diese RNA heißt „X inactive specific transcript“(Xist)-RNA. Xist-RNA wird nur von der DNA des stillgelegten X-Chromosoms von Frauen transkribiert. Sie wirkt nicht auf das verbleibende aktive X-Chromosom und fehlt auch in männlichen Zellen. Sie codiert nach derzeitigem Wissensstand für kein Protein. Die Xist-RNA umhüllt zusammen mit Partnerproteinen das gesamte inaktive X-Chromosom. In früheren Mausmodellen hatten die Autoren gezeigt, dass sich Xist mit 81 einzelnen Proteinen zu einem Ribonukleoprotein-Komplex verbindet.2,3 Schon vor einigen Jahren wurde gezeigt, dass manche Xist-Bindungsproteine Autoantigene sind.2 In Studien mit Patienten, die unter systemischem Lupus erythematodes (SLE) litten, sowie in Mausmodellen wurde gezeigt, dass DNA-Autoantikörper und RNA-Autoantigen-Immunkomplexe wie Sm/RNP und U1A bestimmte Signalwege der angeborenen Immunabwehr aktivieren, nämlich diejenigen, die via TLR7, TLR8 und TLR9 ablaufen.4–6 Forscher von der Stanford-Universität haben nun untersucht, ob die Xist-Ribonukleoprotein(RNP)-Komplexe das häufigere Vorkommen von Autoimmunkrankheiten bei Frauen erklären können.1 Und in der Tat: Autoantikörper gegen Xist-RNP scheinen dafür verantwortlich zu sein.
Die Forscher brachten eine Variante des Xist-Gens in das Genom von zwei verschiedenen Stämmen von Labormäusen ein. Ein Stamm war prädisponiert, vor allem in weiblichen Versuchstieren Autoimmunitätssymptome zu entwickeln, die systemischem Lupus erythematodes ähnelten, und der andere Stamm nicht. Das eingebrachte Xist-Gen war auf zweifache Weise modifiziert worden, unter anderem so, dass die Mäuse ihr X-Chromosom nicht stilllegen, aber noch RNP-Komplexe bilden konnten. Des Weiteren war das System so gestaltet, dass die Expression der Xist-RNA durch Gabe von Doxycyclin spezifisch in männlichen Mäusen, die diese normal nicht exprimieren, eingeschaltet werden konnte. Um zu testen, ob die Entstehung von Autoimmunität von der Xist-RNA abhängig ist, injizierten die Forscher ein Irritans, von dem bekannt ist, dass es bei dem empfindlichen Mausstamm eine Lupus-ähnliche Autoimmunkrankheit erzeugt. Der Beweis klappte: Die männlichen Tiere, bei denen die modifizierte Xist-RNA eingeschaltet wurde, entwickelten mit entsprechender genetischer Disposition plus Irritans ähnlich häufig eine Autoimmunkrankheit wie weibliche Tiere. In den „umprogrammierten“ männlichen Mäusen waren Proteine, die normalerweise Autoimmunreaktionen dämpfen, weniger aktiv. T- und B-Zellen waren so umprogrammiert worden, dass ihr Muster mehr jenem weiblicher Tiere entsprach.
Im letzten Schritt prüften die Forscher, ob die Xist-RNP-Komplexe auch beim Menschen relevant sind. Sie untersuchten Autoantikörper gegen Xist-RNP im Serum von Patienten mit systemischer Sklerose, Dermatomyositis und SLE und verglichen das mit Seren von gesunden Blutspendern. Frauen mit Autoimmunkrankheiten hatten deutlich höhere Spiegel von Autoantikörpern gegen die Proteinkomplexe. Die Autoren fanden Antikörper gegen 37 der Verpackungsproteine, davon waren 28 bisher noch nie als Autoantikörper beschrieben worden und könnten möglicherweise als neue Biomarker dienen.
„Jahrzehntelang haben wir männliche Zelllinien als Standardreferenz verwendet“, wird der führende Autor Prof. Howard Chang zitiert. „Diese männliche Zelllinie produzierte weder Xist noch Xist/Protein/DNA-Komplexe.“ Alle Anti-Xist-Komplex-Antikörper von weiblichen Patienten – eine riesige Quelle in Hinsicht auf die Empfänglichkeit von Frauen für Autoimmunkrankheiten – wurden bislang übersehen.
Ob sich aus diesen Erkenntnissen Ansätze für neue Therapien ergeben, ist zum derzeitigen Zeitpunkt noch unklar.
Literatur:
1 Dou DR et al.: Cell 2024; 187: 733-49 2 Chu C et al.: Cell 2015; 161: 404-16 3 McHugh CA et al.: Nature 2015; 521: 232-6 4 Lau CM et al.: J Exp Med 2005; 202: 1171-7 5 Busconi L et al.: J Endotoxin Res 2006; 12: 379-84 6 Means TK et al.: J Clin Invest 115: 407-17
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