„Herzklappenersatz: Die TAVI ist überlegen“
Unser Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Christian Hengstenberg
Leiter der Abteilung für Kardiologie an der Universitätsklinik für Innere Medizin II
Medizinische Universität Wien
E-Mail: christian.hengstenberg@meduniwien.ac.at
Das Interview führte
Christian Fexa
Von 30. August bis 2. September 2024 fand in London der diesjährige Kongress der European Society of Cardiology statt. Über die Kongresshighlights sprachen wir mit Univ.-Prof. Dr. Christian Hengstenberg, Leiter der Universitätsklinik für Innere Medizin II, Abteilung für Kardiologie an der Medizinischen Universität Wien.
Herr Prof. Hengstenberg, Sie sind auf die Therapie von Herzklappenerkrankungen spezialisiert. Was gibt es da Neues?
C. Hengstenberg: Interessantes am ESC-Kongress gab es zur TAVI und zur Versorgung von symptomatischen hochgradigen Aortenklappenstenosen. Zu nennen sind die RHEIA-, die DEDICATE- und die TCW-Studie, die zum Zeitpunkt des ESC-Kongresses veröffentlicht wurden.
Welches Ziel hatte die RHEIA-Studie?
C. Hengstenberg: Sie hat sich Frauen und Personen zum Ziel genommen, die kleine Anuli haben. Der Anulus fibrosus cordi ist ein bindegewebiger Faserring im Bereich der Öffnung zwischen Herzvorhof und Herzkammer. Man weiß, dass jene, die einen kleinen Anulus haben, unterschiedliche Outcomes aufweisen, sodass die Gefahr besteht, dass ein höherer Gradient akut, aber auch in späterer Folge auftreten kann, und dass Klappen früher degenerieren. Zusätzlich stellt sich die Frage, ob es geschlechtsspezifische Unterschiede gibt. Dieser Frage ging die RHEIA-Studie nach. Insgesamt sind 440 Patient:innen untersucht und 1:1 randomisiert worden auf entweder eine TAVI mit einer Klappe aus der SAPIEN-Familie (SAPIEN3 oder SAPIEN3ultra) oder auf einen Aortenklappenersatz mit anderweitiger Herzklappe. Outcomes waren Tod oder Schlaganfall bzw. die Rehospitalisation in Kombination. Nach 12 Monaten Nachverfolgung gab es einen deutlichen, hochsignifikanten Unterschied und zwar eine 45%ige Risikoreduktion für die Patient:innen, die mit TAVI versorgt wurden, im Vergleich zu denen, die operiert wurden. In Zahlen ausgedrückt: 8,9% aus der TAVI-Gruppe erfüllten einen Endpunkt sowie 15,6% aus der Operationsgruppe. Das ist ein sehr deutliches Ergebnis und gleichzeitig muss man sagen, dass dieser Endpunkt ausschließlich durch die Rehospitalisierungen getrieben wurde und es bei Tod oder Schlaganfall keinen Unterschied gab. Zudem gab es kleine Unterschiede in der Komplikationsrate, wobei die Schrittmacherrate bei TAVI-Patient:innen mit 8,8% höher war als in der OP-Gruppe mit 2,9%. Neu aufgetretenes Vorhofflimmernwar umgekehrt traditionell in der Herzchirurgiegruppe stärker: 1/3 der Patient:innen bzw.28,8% vs. 3,3% in der TAVI-Gruppe wiesen Vorhofflimmern auf. Das ist ein relevanter Unterschied. Man kann sagen, dass bei Frauen mit symptomatischer hochgradiger Aortenklappenstenose eine TAVI, in diesem Fall mit ballonexpandierbarem System, Vorteile gegenüber der Chirurgie hat.
Und die erwähnte DEDICATE-Studie?
C. Hengstenberg: Diese Studie ist schon sehr lange aktiv und jetzt publiziert worden. Initial war meine Einschätzung zu dieser Studie, dass sie das untersucht, was wir schon wissen. Es wurden Patient:innen mit mittlerem Risiko eingeschlossen, insgesamt 1414 Patient:innen, und 1:1 randomisiert entweder in eine TAVI- oder eine Herzchirurgiegruppe. Alle Herzklappen konnten verwendet werden, sowohl bei TAVI als auch bei chirurgischem Klappenersatz. Der Endpunkt war die Kombination aus Tod jeglicher Ursache und Schlaganfall. Der Unterschied war sehr deutlich. Es zeigte sich eine 47%ige Risikoreduktion für die TAVI-Patient:innen vs. diejenigen, die operiert wurden. Das ist natürlich hochsignifikant, wenn man sich ansieht, was dahintersteckt.
Wie war der Aufbau der beiden Gruppen?
C. Hengstenberg: Es wurden 701 Patient:innen in die TAVI-Gruppe randomisiert und 713 in die Herzchirurgiegruppe. Tatsächlich haben aber 752 eine TAVI erhalten, da einige der Patient:innen für die Chirurgie randomisierten Gruppe in die TAVI-Gruppe gewechselt sind. Von den 713, die in die Herzchirurgiegruppe randomisiert wurden, haben im Endeffekt 625 die OP tatsächlich erhalten. 70 sind in die TAVI-Gruppe gewechselt, wohingegen umgekehrt nur 12 von der TAVI- in die Herzchirurgiegruppe gekommen sind.
Wie waren die Ergebnisse der Studie?
C. Hengstenberg: Die TAVI-Gruppe hatte eine kumulative Inzidenz des kombinierten Endpunkts von ca. 4–5%. Im Vergleich lag die Herzchirurgiegruppe bei etwa 10%, was eine deutliche Reduktion bzw. eine deutlich geringere Inzidenz des kombinierten Endpunkts bei TAVI-Implantation zeigt. Diese Inzidenzreduktion ist sowohl für Tod jeglicher Ursache als auch für Schlaganfall gleich ausgeprägt. Der Unterschied ist jedoch für den Schlaganfall nicht signifikant, für Tod jeglicher Ursache hingegen schon. Wenn man noch die Subgruppen betrachtet, dann ergibt sich in allen Endpunkten ein Vorteil für eine TAVI, jedoch mit oftmalsdie 1 überlappendem Konfidenzintervall, was kein signifikantes Ergebnis bedeutet.
Egal welche Klappe bzw. Operation Sie nehmen, ist in dieser Studie die TAVIüberlegen.
Zu guter Letzt haben Sie noch die TCW-Studie angesprochen. Was können Sie uns über diese Studie berichten?
C. Hengstenberg:An der TCW-Studie hat unsere Klinik auch teilgenommen. Es war eine Studie, die schwierig zu finanzieren und zu rekrutieren war. Es sind Patient:innen eingeschlossen worden, die älter als 70 sind. Sie mussten eine koronare Zweigefäßerkrankung und eine hochgradige Aortenklappenstenose haben. Die Überlegung war, diese Patient:innen entweder komplett interventionell oder komplett chirurgisch mittels OP zu behandeln. Interventionell wären hier eine TAVI-Implantation und eine perkutane Intervention (PCI). Chirurgisch wären eine Bypassoperation und ein Aortenklappenersatz durchgeführt worden. Der Endpunkt war eine Kombination aus Tod, Herzinfarkt, Schlaganfall, Revaskularisation, Reintervention und Blutung.
Die Studie hat nur schwer Teilnehmerrekrutiert und ist im Verlauf vorzeitig beendet worden. Das Data Safety Monitoring Board stellte fest, dass in der chirurgischen Gruppe in 22,9% und im interventionellen Arm nur in 4,4% Ereignisse auftraten. Das ist eine 5-mal höhere Inzidenz von primären Ereignissen, was bei Tod, Schlaganfall, dringender Revaskularisation oder Reinterventionsnotwendigkeit bei Klappen oder Blutung keine Kleinigkeit ist. Alleine die Sterblichkeit aufgrund eines Schlaganfallslag bei der Chirurgie bei 12,5%, in der TAVI-Gruppe lediglich bei 1,1% innerhalb von einem Jahr. Fest steht, dass diese operativen Kombinationseingriffe nicht gut sind für Patient:innen, die ein höheres Alter von über 70 haben und nicht mehr im allerbesten Zustand sind. Die Mortalität aufgrund eines Schlaganfalls nach so schweren Operationen im ersten Jahr beträgt dann 12% vs. 1%.
Die Operation scheint deutlich belastender zu sein als der interventionelle Eingriff. Die Kurven sind vielleicht schon am Anfang rasch auseinandergegangen?
C. Hengstenberg: Gleich zu Beginn, also nach 4 oder 5 Tagen, gibt es hier einen deutlichen Unterschied, und dann nach 60 Tagen, also 2 Monaten. In der Diskussion wurde lange überlegt, warum das so ist. Eine der Überlegungen ist, dass manche Patient:innen nach der OP in deutlich eingeschränktem Zustand auf die Intensivstation kommen bzw. perioperativ ein Schlaganfall aufgetreten ist. Da ist dann ein Anstieg der Mortalität nach drei bis vier Tagen zu beobachten. Wenn der Patient das alles gut übersteht, wird er auf die IMC verlegt und später auf die Normalstation, wo er noch ein oder zwei Monate verbleibt. Da ist dann der nächste Anstieg der Mortalität. Danach bleibt er dann relativ stabil. Aktuell gibt es leider noch keine Details in einer Publikation.
Was laufen noch für Studien, die interessante Fragen beantworten?
C. Hengstenberg: Es laufen viele Studien zu asymptomatischen oder moderaten Aortenklappenstenosen. Zu den moderaten sind gerade drei Studien im Gange: Darin stellt sich die Frage nach dem richtigen Zeitpunkt für eine TAVI und nicht zuletzt schwebt über allem die Frage nach der Haltbarkeit der TAVI-Klappen und ob sie ähnlich gut sind wie Bioprothesen. Dann sind Studien wie die eingangs erwähnte RHEIA-Studie interessant, in der es um den kleinen Anulus ging. Hier ist die SMART-Studie beim EuroPCR herausgekommen, bei der es um kleine Anuli ging und die Frage, welche Klappe dann in solchen Situationen am besten eingesetzt wird und ob es ein supraanuläres oder ein intraanuläres Design sein soll. Das supraanuläre System ist selbstexpandierend und SAPIEN, das interanuläre System, ballonexpandierend. Die selbstexpandierende Variante hat den niedrigeren Gradienten gehabt, was vorteilhaft ist.
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