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EADV 2024

Update vernarbende Alopezie

Die Diagnostik und die Therapie von vernarbenden Alopezien sind herausfordernd. Zudem ist die Pathogenese noch nicht vollends verstanden. Was gilt es in der dermatologischen Praxis zu beachten?

Keypoints

  • Vernarbende Alopezie ist ein nicht seltenes Problem in der dermatologischen Praxis.

  • Neue Behandlungsansätze, wie z.B. JAK-Inhibitoren, sind vielversprechend.

  • Weitere Forschung ist für die Verbesserung der therapeutischen Ergebnisse unerlässlich.

Vernarbende Alopezie ist ein Oberbegriff für eine seltene Gruppe von Haarerkrankungen:

Sie sind durch die Zerstörung der Haarfollikel (HF) gekennzeichnet, die durch fibröses Gewebe ersetzt werden. Es kommt zu einem irreversiblen Haarausfall. Dies geht mit starker psychosozialer Belastung und negativen Auswirkungen auf die Lebensqualität der Betroffenen einher, berichtete Prof. Dr.Alexander Katoulis, Lehrstuhlinhaber für Dermatologie an der Nationalen und Kapodistrianischen Universität von Athen/Griechenland. Zwischen drei und sieben Prozent aller Alopeziefälle gehen auf die vernarbende Form zurück.1 Menschen mittleren Alters sowie ältere Personen sind häufiger betroffen.

Es wird zwischen primärer, sekundärer und biphasischer vernarbender Alopezie unterschieden: Bei der primären Form werden die HF durch entzündliche Dermatosen geschädigt. Als Auslöser von sekundären vernarbenden Alopezien gelten Trauma, physische Ursachen, entzündliche Erkrankung, Neoplasma sowie Strahlung. Von einer biphasischen Form spricht man, wenn sich eine lange bestehende Alopezie ohne Vernarbung zu einer vernarbenden Alopezie wandelt. Im Unterschied zur nichtvernarbenden, reversiblen Alopezie sind bei der vernarbenden Form die entzündlichen Infiltrate im Infundibulum und Isthmus lokalisiert.

Merkmale der primären vernarbenden Alopezie

Bei der primären vernarbenden Alopezie basiert die Klassifizierung in erster Linie auf dem vorherrschenden entzündlichen Infiltrat, das bei der Biopsie der Kopfhaut gefunden wird. So wird zwischen neutrophiler, lymphozytärer, gemischter oder unspezifischer Form unterschieden (s. Tab. 1).2 Männer sind häufiger von der neutrophilen, Frauen häufiger von der lymphozytären vernarbenden Alopezie betroffen.1 Die Krankheitslast ist beträchtlich, erläuterte Katoulis. So sei die vernarbende Form mit einer schlechteren Lebensqualität und einer stärkeren psychosozialen Belastung assoziiert.3 Die Betroffenen berichten von Ängsten und Depressionen, Gefühlen der Einsamkeit, sozialer Isolation und geringem Selbstwertgefühl. Mögliche Erklärungen hierfür sind laut dem Experten die schlechtere Prognose mit Irreversibilität der Läsionen und relativer Unwirksamkeit der Behandlung sowie das höhere Alter der Patient:innen mit narbiger Alopezie.3

Tab. 1: Klassifikation der primären vernarbenden Alopezie nach der North American Hair Research Society (mod. nach Olsen EA et al.)2

Die Pathophysiologie ist noch nicht vollends geklärt. „Fragen zum natürlichen Verlauf bzw. zur Progression, zu Faktoren, die die Krankheit und den Behandlungserfolg beeinflussen, sowie zu spezifischen molekularen Markern sind weiterhin unbeantwortet“, führte Katoulis aus. Zentrales Element sei jedoch der Kollaps des Immunprivilegs der Haarfollikel. Sie sind wie eine geschäftige Fabrik in der Haut, die eine Vielzahl von Proteinen produziert. Das Immunprivileg schützt die Haarfollikel vor Autoimmunität gegen neu auftretende Autoantigene. Dies wird durch die unterdrückte Expression von MHC-Klasse-I- und -II-Molekülen der Antigen-präsentierenden Zellen an den HF bewirkt.

Es ist noch unklar, ob es sich bei dem Zusammenbruch des HF-Immunprivilegs um ein primäres Ereignis handelt oder um eine sekundäre Reaktion, die durch das sich entwickelnde proinflammatorische Zytokinmilieu ausgelöst wird, meinte Katoulis. Beeinflussende Faktoren können genetischer, hormoneller, immunologischer und umweltbedingter Natur sein.

Empfehlungen für die Diagnostik

Das diagnostische Prozedere sollte mit einer ausführlichen Anamnese starten: So spielen die ethnische Herkunft, demografische Merkmale (Alter, Geschlecht), eine Familien- und Medikamentenanamnese sowie Komorbiditäten eine essenzielle Rolle. Zudem sollte die Frage nach früheren Haarpflegepraktiken (z.B. Verwendung heißer Kämme, spezielle Frisuren, übermäßige Zugkraft) gestellt werden.

Bei der klinischen Untersuchung gilt es, die Verteilung und das Ausmaß des Haarausfalls festzustellen (meist lückenhaft oder gemustert) und das Vorhandensein oder Fehlen von Narbenbildung sowie damit einhergehenden Hautveränderungen auf der Kopfhaut (Erythem, Schuppung, Atrophie, Pigmentveränderung, Pusteln, Krustenbildung) zu dokumentieren.

Darüber hinaus sollte laut Katoulis geprüft werden, ob andere Körperbereiche von Haarausfall betroffen sind und ob Anzeichen einer anderen Hauterkrankung (z.B. Lichen planus, Lupus erythematodes, HS) vorliegen.

Diagnostischer Goldstandard ist die Histopathologie, die klärt, ob der HF vollständig durch fibröses Gewebe ersetzt ist. Die Elastinfärbung zeigt typischerweise eine keilförmige Zone des Verlustes des elastischen Fasernetzes. Jedoch gebe es auch Limitationen bei der Histopathologie, erklärte der Dermatologe: So sei das Untersuchungsgebiet sehr begrenzt. Bei der Auswahl der Stelle gelte es, einen betroffenen Bereich zu wählen, in dem die Haarfollikel klinisch entzündet, aber noch vorhanden sind. Bei der Entnahme und Verarbeitung des Gewebes ist es wichtig, eine 4mm-Stanzbiopsie durchzuführen, die parallel zum Winkel des Haarschaftwachstums ausgerichtet ist, um ein Querschneiden der HF zu vermeiden. Diese muss tief genug sein, um den gesamten HF in die Probe einzuschließen, d.h. bis in die Subkutis. Nicht zuletzt sind Biopsien zeitaufwendig und kostspielig und können nicht immer eine klare Antwort hinsichtlich der Diagnose liefern, so Katoulis.

Die Trichoskopie unterstützt bei der Diagnostik und Differenzierung von Haarerkrankungen sowie der Auswahl geeigneter Stellen für die Biopsie. Auch bei der Bewertung der Behandlung sowie der Nachuntersuchung ist sie laut dem Experten ein präzises, einfaches und kostengünstiges Ins-trument. Trichoskopische Anhaltspunkte und Muster umfassen die Distribution, das (Nicht-)Vorhandensein von follikulären Öffnungen sowie dermatoskopische Anzeichen wie z.B. Erythem oder perifollikuläre Schuppenbildung.

Behandlung der vernarbenden Alopezie

Oberstes Therapieziel ist es, das Fortschreiten der Krankheit aufzuhalten oder zu verlangsamen. „Eine Stabilisierung kann als erfolgreiches Ergebnis angesehen werden“, meinte Katoulis. Ebenso sollte eine Linderung der Symptome angestrebt werden. Wichtig sei es, keine unrealistischen Erwartungen zu schüren: Aus dauerhaft geschädigten Follikeln wachsen keine Haare nach. Eine frühzeitige Behandlung kann jedoch zu besseren Ergebnissen führen.

Die Wahl der individuellen Therapie wird beeinflusst durch die vorliegende Art der Erkrankung, den Schweregrad und die Prognose, das Alter, den allgemeinen Gesundheitszustand sowie die Auswirkung auf die Lebensqualität des Betroffenen.

Liegt eine akute vernarbende Alopezie vor, kann eine Rettungstherapie mit Kortikosteroiden erfolgen, bevorzugt intraläsional oder systemisch, empfahl Katoulis.

Bei einer neutrophilen Form kann der Einsatz von Antibiotika erfolgen: Doxycyclin gilt hier als First-Line-Präparat. Liegt eine dissezierende Cellulitis vor, wird Isotretinoin in der Erstlinie verwendet. Ein neuer Ansatz ist die Gabe von Anti-TNF-α-Inhibitoren wie Adalimumab bei refraktärer Folliculitis decalvans („off-label“).4,5

Bei der lymphozytären Form der vernarbenden Alopezie wird „first-line“ das Antimalariamittel Hydroxychloroquin angewendet. Vor Einleitung der Therapie sowie nach einem Jahr sollte eine ophthalmologische Untersuchung durchgeführt werden. Ebenso sind ein Blutbild und die Erhebung der Leberwerte vorab und anschließend viertel- bis halbjährlich empfohlen.

Liegt eine frontal fibrosierende Alopezie vor, gilt der 5-α-Reduktasehemmer Duta-sterid derzeit als die wirksamste Behandlung.6 In der Kombination mit Pimecrolimus hat sich Dutasterid als sehr effektiv erwiesen, insbesondere hinsichtlich des Nachwachsens von Augenbrauen und Achselhaaren.7 Bei therapieresistenten Formen können Immunsuppressiva wie Cyclosporin oder Mycophenolat-Mofetil Anwendung finden.

„Bei der Alopecia areata haben Januskinase-Inhibitoren zu beeindruckenden Ergebnissen geführt“, so Katoulis. Für die vernarbende Alopezie liegen bislang zwar Fallberichte mit guten Outcomes vor, jedoch noch keine umfassenden klinischen Studien. Zu guter Letzt können chirurgische Maßnahmen wie eine Haartransplantation oder der Einsatz von Excimerlasern zur Inflammationsreduktion indiziert sein.

Wissenschaftliches Symposium „Hair Disorders“ anlässlich der EADV-Jahrestagung am 26. September 2024 in Amsterdam

1 Tan E et al.: Primary cicatricial alopecias: clinicopathology of 112 cases. J Am Acad Dermatol 2004; 50(1): 25-32 2 Olsen EA et al.: Summary of North American Hair Research Society (NAHRS)-sponsored Workshop on Cicatricial Alopecia, Duke University Medical Center, February 10 and 11, 2001. J Am Acad Dermatol 2003; 48(1): 103-10 3 Katoulis AC et al.: Quality of life and psychosocial impact of scarring and non-scarring alopecia in women. J Dtsch Dermatol Ges 2015; 13(2): 137-42 4 Alsantali A et al.: Folliculitis decalvans managed with adalimumab: a case report. Clin Case Rep 2023; 11(12): e8193 5 Iorizzo M et al.: Refractory folliculitis decalvans treated with adalimumab: a case series of 23 patients. J Am Acad Dermatol 2022; 87(3): 666-9 6 Pindado-Ortega C et al.: Effectiveness of dutasteride in a large series of patients with frontal fibrosing alopecia in real clinical practice. J Am Acad Dermatol 2021; 84(5): 1285-94 7 Katoulis A et al.: Frontal fibrosing alopecia: treatment with oral dutasteride and topical pimecrolimus. J Eur Acad Dermatol Venereol 2009; 23(5): 580-2

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