Zukünftige pharmakologische Therapien bei COPD und Asthma
Unser Gesprächspartner:
Dr. med. Nikolay Pavlov
Spitalfacharzt, Universitätsklinik für Pneumologie, Allergologie und klinische Immunologie, Bern
Das Interview führte Regina Scharf, MPH
Redaktorin
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Die vielversprechenden Daten zum Einsatz von Biologika in der COPD-Behandlung, die RSV-Impfung, aber auch ganz neue Wirkstoffe zur Behandlung von Asthma und COPD wurden am SGP-Jahreskongress diskutiert. Dr. med. Nikolay Pavlov, Pneumologe am Universitätsspital Bern, gibt einen Überblick und Einblick in die therapeutischen Entwicklungen.
Herr Dr. Pavlov, bei den Therapien gegen Asthma und COPD tut sich einiges. Was löst das bei Ihnen aus?
N. Pavlov: Es freut mich sehr, dass wir zunehmend therapeutische Möglichkeiten haben, um unseren Patienten mit Asthma und COPD zu helfen. Teilweise können wir unseren Patienten heute schon eine individualisierte, zielgerichtete Therapie anbieten. Ich hoffe, in Zukunft wird das bei jedem Patienten der Fall sein.
Beginnen wir mit den Biologika bei COPD. So richtig überrascht es einen nicht, dass Biologika, die mit Erfolg zur Asthmabehandlung eingesetzt werden, auch bei COPD wirksam sein könnten.
N. Pavlov: Schon vor Jahren wurden die ersten Studien zur Behandlung bei COPD, vor allem mit Anti-Interleukin(IL)-5- und Anti-IL-5-Rezeptor-Antikörperm, publiziert. Die Resultate waren etwas enttäuschend und doch konnte eine Metaanalyse zeigen, dass diese Biologika die Exazerbationsrate bei Patienten mit COPD und einer Eosinophilenzellzahl ≥300/μl reduzieren.1 Es war daher lediglich eine Frage der Zeit, bis wir eine positive Studie haben. Für den Einsatz von Biologika in der COPD-Behandlung ist die Patientenselektion aus meiner Sicht wirklich essenziell. Dazu müssen wir herausfinden, welches Biologikum in welchem Patientenkollektiv am besten wirkt.
Bei Patienten mit Asthma sucht man ja wahrscheinlich mittlerweile routinemässig nach einer Eosinophilie. Wie ist das bei der COPD?
N. Pavlov: Bei der COPD gehen die Meinungen auseinander. Allerdings verweist die GOLD-Initiative in ihren aktuellen Empfehlungen für oder wider den Einsatz inhalativer Steroide auf die Höhe der Eosinophilenzellzahl als Prädiktor für das Auftreten von Exazerbationen bzw. für das Ansprechen auf inhalative Steroide.2 Daher halte ich es für wichtig, bei Patienten mit COPD die eosinophilen Granulozyten zu bestimmen, und das bei Bedarf auch seriell, weil diese eine gewisse Variabilität zeigen. Bei der seriellen Bestimmung denke ich vor allem an Patienten mit Exazerbationen und einer Eosinophilenzellzahl im Graubereich, zwischen 150 und 300/μl. Kohortenstudien haben gezeigt, dass die Eosinophilenzellzahl bei manchen Patienten im Verlauf auf ≥300/μl ansteigt, was eine klare Indikation für die Therapie mit inhalativen Steroiden wäre. Wenn die Exazerbationen trotz der Therapie mit inhalativen Steroiden und einer dualen Bronchodilatation persistieren, könnte man angesichts der neuesten Studiendaten auch den Einsatz eines Biologikums erwägen.
Sie würden also bei jedem Patienten mit COPD einmal die Eosinophilenzellzahl im Blut bestimmen?
N. Pavlov: Ich würde sie einmal bestimmen und dann abhängig von den Exazerbationen beziehungsweise dem Krankheitsverlauf mehrmals.
Wir haben gegen Asthma Biologika mit unterschiedlichen Angriffspunkten zur Verfügung. Welcher Wirkungsmechanismus scheint Ihnen vielversprechend zur Behandlung bei COPD?
N. Pavlov: Die vielversprechendsten Daten haben wir bis jetzt mit zwei positiven Studien bei COPD-Patienten mit dem Biologikum gegen IL-4R Dupilumab. Aufgrund der bereits zu Beginn des Interviews erwähnten älteren Metaanalyse hoffen wir, dass die Biologika gegen IL-5 oder den IL-5-Rezeptor bei einer sorgfältigen Patientenselektion ebenfalls einen Nutzen haben. Vergleichbare Daten wie mit Anti-IL4R-Antikörper haben wir für diese Wirkstoffe aber noch nicht.
Bei welchen COPD-Patienten kommt eine Biologikatherapie infrage?
N. Pavlov: In die Studien mit Dupilumab waren Patienten mit einer mindestens mittelgradigen obstruktiven Ventilationsstörung mit einer ausgeprägten Dyspnoe und rezidivierenden Exazerbationen – und zwar mindestens zwei moderaten oder einer schweren Exazerbation pro Jahr – und einer Eosinophilenzellzahl ≥300/μl eingeschlossen. Obwohl auch Raucher in die Studien eingeschlossen waren, ist für mich persönlich der Rauchstopp ein wichtiges Kriterium für den Beginn einer Biologikatherapie. Rauchen begünstigt das Auftreten rezidivierender Exazerbationen. In der Asthmabehandlung versuchen wir zunächst, Komorbiditäten und Faktoren, die das Asthma unterhalten, zu optimieren, bevor wir eine Biologikatherapie initiieren. Analog sollten wir auch bei der COPD vorgehen.
Bislang sind die Biologika noch nicht für die Behandlung bei COPD zugelassen. Wie handhaben Sie das in der Praxis?
N. Pavlov: Wegen der fehlenden Zulassung würde es sich um einen «Off-label»-Einsatz handeln. Im Antrag auf Kostengutsprache könnte man sich auf die bereits publizierten Phase-III-Studien beziehen. Ob die Therapiekosten übernommen werden oder nicht, entscheidet die Krankenversicherung.
Vor Kurzem wurde der Zulassungsantrag für den PDE-3/PDE-4-Inhibitor Ensifentrin zur Langzeittherapie bei COPD bei der FDA eingereicht. Wie wirkt das Medikament?
N. Pavlov: Ensifentrin wirkt aufgrund der kombinierten Inhibition von Phosphodiesterase 3 und 4 (PDE-3/PDE-4i) synergistisch. Das Resultat sind eine Relaxierung der glatten Muskulatur in den Atemwegen und eine Bronchodilatation. Daneben verfügt Ensifentrin über antiinflammatorische Eigenschaften und verbessert die mukoziliäre Clearance.
Welchen Zusatznutzen bringt das neue Inhalativum?
N. Pavlov: Ein wichtiger Vorteil von Ensifentrin könnte der inhalative Applikationsweg sein. Im Vergleich zu dem PDE-4i Roflumilast, der peroral zur Behandlung bei COPD angewendet wird und häufig unerwünschte gastrointestinalen Wirkungen verursacht, sind in den Studien mit Ensifentrin solche Nebenwirkungen kaum aufgetreten. Neben der antiinflammatorischen Wirkung infolge der PDE-4-Hemmung führt die Inhibierung von PDE-3 zusätzlich zu einer Bronchodilatation. In den Zulassungsstudien hat Ensifentrin verglichen mit Placebo zu einer deutlich niedrigeren jährlichen Exazerbationsrate und zu einer Zunahme der FEV1 von ca. 150ml geführt.
Welchen Zusatznutzen das Medikament im Vergleich zu den empfohlenen Inhalationstherapien bringt, ist schwierig zu sagen. In den Zulassungsstudien waren hauptsächlich Patienten eingeschlossen, die nur mit einem Bronchodilatator oder mit einer Kombination von Bronchodilatator und inhalativem Steroid behandelt wurden. Mich würde interessieren, wie die Effekte bei Patienten sind, die mit einer Guideline-konformen Therapie, das heisst mit einer dualen Bronchodilatation oder einer dreifachen Inhalationstherapie behandelt werden.
Wie könnte Ensifentrin in die bisherigen Therapieempfehlungen integriert werden und wann wird es in der Schweiz erhältlich sein?
N. Pavlov: Solange wir keine entsprechenden Studien haben, fällt es mir schwer, zu sagen, bei welchen Patienten und wann Ensifentrin eingesetzt werden sollte. Am wahrscheinlichsten scheint mir, dass es als «Add-on»-Behandlung zusätzlich zu der Inhalationstherapie eingesetzt wird. Ob das der Fall bei Patienten mit einer dualen Bronchodilatation sein wird oder erst bei einer Tripeltherapie, das kann ich im Moment nicht sagen. Entsprechend gespannt bin ich auf den Zulassungsentscheid der FDA, welcher demnächst erwartet wird. Darüber, wann das Medikament bei der EMA oder Swissmedic zur Zulassung eingereicht wird, habe ich keine Informationen.
Neuigkeiten gibt es auch im Hinblick auf die Prävention von RSV-Infektionen bei COPD. Wie beeinflussen RS-Viren den Krankheitsverlauf bei COPD?
N. Pavlov: Die Infektion mit RSV ist durchaus relevant für Patienten mit COPD. Je nach Studie existieren verschiedene Zahlen. In einer Kohortenstudie waren 9% der ambulanten Exazerbationen bei COPD durch RSV verursacht. Etwa 20% der COPD-Patienten, die wegen RSV einen Arzt aufsuchen, werden hospitalisiert. Auch die Mortalität ist erhöht bei COPD-Patienten, die aufgrund einer RSV-Infektion hospitalisiert werden.
Hat die Problematik, gemessen an der Infektionsrate in der Post-Covid-Ära, zugenommen oder ist lediglich die «Awareness» gestiegen?
N. Pavlov: Ich glaube, das Bewusstsein hatte man auch schon vor der SARS-CoV-2-Pandemie. Da es aber keine präventiven oder therapeutischen Möglichkeiten gab, wurden Patienten mit COPD nicht routinemässig getestet. Während der Pandemie haben wir nicht nur bei den COPD-Patienten, sondern insgesamt einen Rückgang an viralen Atemwegsinfektionen beobachtet, der auf die vorbeugenden Massnahmen wie «social distancing» und das Tragen von Gesichtsmasken zurückgeführt werden konnte. Dadurch hat die «Awareness» zugenommen, dass sich durch Hygiene- und andere Präventionsmassnahmen, insbesondere gegen respiratorische Viren, das Auftreten von Exazerbationen bei Patienten mit COPD reduzieren lässt. Eine weitere Möglichkeit, sich zu schützen, sind die Impfungen.
Welche Impfstoffkandidaten stehen zur Verfügung und wie unterscheiden sich diese?
N. Pavlov: Aktuell ist in der Schweiz ein rekombinanter adjuvantierter Impfstoff gegen RSV zugelassen. Ein weiterer, ein mRNA-Impfstoff, ist zur Zulassung eingereicht. Die Impfstoffe haben in Studien eine vergleichbare Wirkung gezeigt. Die RSV-Impfung hat bislang noch keinen Eingang in die Impfempfehlungen gefunden. Auch bezüglich der Rückerstattung durch die Krankenversicherer fehlen uns noch die Informationen.
Welche COPD-Patienten profitieren von einer Impfung gegen RSV?
N. Pavlov: Gemäss den Studien zu den Impfungen, die unter anderem Patienten mit chronischen Lungenerkrankungen wie COPD eingeschlossen haben, können alle Personen älter als 60 Jahre davon profitieren. Entsprechend ist die RSV-Impfung für alle Patienten mit COPD älter als 60 Jahre in den internationalen Empfehlungen aufgeführt. Ich finde es wichtig, die Patienten diesbezüglich zu informieren. Die Entscheidung obliegt aber wie bei allen anderen Impfungen auch der Patientin oder dem Patienten.
Welche Erfahrungen machen Sie bezüglich der Impfbereitschaft der chronisch kranken Patienten in Ihrer Praxis?
N. Pavlov: Das Bild ist sehr unterschiedlich. Von den Patienten mit chronischen Lungenkrankheiten und einer schwer eingeschränkten Lungenfunktion, zum Beispiel auch solche mit einer COPD, die schon mal eine Exazerbation infolge eines schweren Infekts hatten, stehen die meisten einer Impfung eher offen gegenüber. Andererseits erlebe ich gerade unter den COPD-Patienten, die einen niedrigeren Leidensdruck oder ein anderes Krankheitsverständnis haben, eine ablehnende Haltung, verglichen mit Patienten mit anderen chronischen Lungenkrankheiten.
Eine spannende Entwicklung bei der Asthmatherapie gibt es mit Dexpramipexol. Wie unterscheidet sich das Medikament von den Biologika, die auf eine Reduktion der Eosinophilenzellzahl abzielen?
N. Pavlov: Das Medikament wurde initial bei neurologischen Erkrankungen, beispielsweise zur Behandlung der amyotrophen Lateralsklerose, untersucht. Im Rahmen dieser Studien werden sämtliche Laborparameter und zusätzliche Wirkungen erfasst. Dabei hat man beobachtet, dass Dexpramipexol die Eosinophilenzellzahl im Blut reduziert. Das war der Grund dafür, den Wirkstoff bei Erkrankungen zu untersuchen, die mit einer Eosinophilie einhergehen. Und tatsächlich hat die «Proof of concept»-Studie demonstriert, dass Dexpramipexol die Eosinophilenzellzahl bei Patienten mit Asthma und Eosinophilie reduziert. Die Studie war jedoch nicht genügend gepowert, um eine relevante Änderung der Lungenfunktion oder der Exazerbationsrate zu zeigen. Wir müssen deshalb die weiteren Studien abwarten. Diese werden hoffentlich auch Informationen über den Wirkmechanismus von Dexpramipexol liefern, der weitgehend unbekannt ist. Ein wichtiger Unterschied zu den Biologika ist zum Beispiel die orale Applikation von Dexpramipexol.
Bei welchen Patienten sehen Sie den grösstmöglichen Nutzen von Dexpramipexol?
N. Pavlov: Um diese Frage zu beantworten, wissen wir noch zu wenig. Am wahrscheinlichsten aber bei Patienten mit einem eosinophilen Asthma, das trotz einer Inhalationstherapie nicht gut kontrolliert ist.
Die Indikationen für eine Biologikatherapie gegen eosinophile Erkrankungen nehmen laufend zu. In welchem Bereich gibt es vielversprechende Neuigkeiten?
N. Pavlov: Bislang war lediglich der Anti-IL-5-Antikörper Mepolizumab zur Behandlung der eosinophilen Granulomatose mit Polyangiitis (EGPA) zugelassen. Jetzt haben wir eine erste Studie, die eine Nichtunterlegenheit von Benralizumab im Vergleich zum Mepolizumab bei der EGPA zeigt. Das ist sehr erfreulich. Einige Kollegen und auch ich selbst haben den Anti-IL-5-Rezeptorantikörper aufgrund seines Wirkungsmechanismus erfolgreich bei EGPA angewendet, da die Erkrankung praktisch zu einhundert Prozent mit einem schweren eosinophilen Asthma vergesellschaftet ist. Das heisst, bisher war die Indikation für die Behandlung mit Benralizumab gegen das Asthma bei solchen Patienten «in-label», gegen die EGPA aber «off-label». Jetzt liegen uns endlich auch die entsprechenden Daten für die erfolgreiche Therapie der EGPA mit Benralizumab vor, sodass die Indikation hoffentlich bald erweitert wird.
Quelle:
Das Interview basiert auf einem Vortrag von Dr. med. Nikolay Pavlov an der Jahrestagung der Schweizerischen Gesellschaft für Pneumologie, 29.–31. Mai 2024, Baden.
Literatur:
1 Donovan T et al.: Cochrane Database of Systematic Reviews 2020, Issue 12. Art. No.: CD013432 2 Global Initiative for chronic obstructive lung disease. 2024 Edition. Einsehbar unter: www.goldcopd.org
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