Sarkopenie bei Patient:innen mit Leberzirrhose
Autorin:
Dr. Maria Rosina Troppmair
Assistenzärztin für Innere Medizin, Gastroenterologie und Hepatologie
Universitätsklinik für Innere Medizin I
Innsbruck
E-Mail: m.troppmair@i-med.ac.at
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Die Sarkopenie ist eine progressive Muskelerkrankung, die mit einem Verlust von Muskelmasse und -funktion einhergeht. Obwohl sie bei etwa einem Drittel aller Patient:innen mit Leberzirrhose besteht, wird die Sarkopenie häufig nicht als solche diagnostiziert. Ist sie vorhanden, geht sie sowohl vor als auch nach einer Lebertransplantation mit einem signifikant kürzeren Überleben und mehr Komplikationen sowie verminderter Lebensqualität einher. Ziel ist es, Betroffene sowie Patient:innen mit erhöhtem Risiko frühestmöglich zu erkennen und bestmöglich zu therapieren.
Keypoints
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Bei Patient:innen mit Leberzirrhose ist das Vorliegen einer Sarkopenie mit einem etwa doppelt so hohen Risiko zu sterben assoziiert. Insbesondere Männer und Patient:innen mit alkoholassoziierter Lebererkrankung sind häufiger betroffen.
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Die Pathogenese ist multifaktoriell und resultiert in einer Imbalance von Proteinsynthese- und -abbau.
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Diagnostisch finden Schnittbildgebung (Beurteilung der Muskelmasse) sowie Untersuchungen der Muskelkraft Anwendung.
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Therapeutisch stehen vor allem Ernährungstherapie und gezielte Bewegungstherapie im Vordergrund.
Bei über einem Drittel aller Patient:innen mit Leberzirrhose ist eine Sarkopenie zu finden, insbesondere bei Männern (knapp 40%) und sogar bei jedem/jeder Zweiten mit alkoholassoziierter Lebererkrankung. Ist sie vorhanden, zeigen die Betroffenen ein doppelt so hohes Risiko zu sterben wie ohne sie.1
Bei der Sarkopenie handelt es sich um eine progressive und generalisierte Muskelerkrankung, bei der es zum Verlust der Muskelmasse und -stärke (Funktion) kommt (Abb. 1). Der primären Sarkopenie, welche durch ein zunehmendes Lebensalter bedingt ist, steht die sekundäre Sarkopenie gegenüber. Diese ist mit unterschiedlichen chronischen Erkrankungen, wie zum Beispiel einer chronischen Lebererkrankung, vergesellschaftet.2,3
Abb. 1: Schematische Darstellung der Muskel-/Fettverteilung bei Sarkopenie
Pathogenese
Die Pathogenese ist multifaktoriell (Abb. 2), bei Patient:innen mit Leberzirrhose spielen unter anderem das Vorliegen einer Hyperammonämie, Inflammation, gesteigerte Autophagie und das Vorhandensein einer hormonellen Imbalance (Insulinresistenz, Testosteron- oder Wachstumshormonmangel) eine Rolle.4
Abb. 2: Pathogenese der Sarkopenie bei Patient:innen mit Leberzirrhose
Inflammation
Veränderungen des Glukosemetabolismus, Insulinresistenz und oxidativer Stress sowie die vermehrte Produktion von inflammatorischen Zytokinen führen zur chronischen Entzündung, die mit Apoptose und zunehmendem Muskelschwund assoziiert ist. Durch die chronische Inflammation kommt es zum Stress der Hepatozyten, der Entwicklung einer MASH («metabolic dysfunction-associated steatohepatitis») sowie zur zunehmenden Fibrosierung. In der fibrotischen Leber produzieren Kupffer-Zellen verstärkt TNFα, welches über die Aktivierung von NF-κB («nuclear factor ‹kappa-light-chain-enhancer› of activated B cells») wiederum die Muskelatrophie fördert.5
Hyperammonämie
Bei fortgeschrittener Lebererkrankung sind die Gen- und Proteinexpression sowie die Aktivität von Harnstoffzyklus-assoziierten Enzymen in der Leber herunterreguliert, es kommt zur Hyperammonämie. Ammoniak wird vermehrt vom Skelettmuskel aufgenommen und dort durch die Reaktion mit Alpha-Ketoglutarat abgebaut. Durch die in der Folge entstehende Alpha-Ketoglutarat-Defizienz im Skelettmuskel kommt es zur mitochondrialen Dysfunktion und zu verminderter ATP-Synthese. Dies führt zu verminderter Proteinsynthese, gesteigerter Autophagie und vermehrter Sauerstoffradikalbildung. Hyperammonämie stimuliert zudem die NF-κB abhängige Myostatinexpression.
Myostatin bewirkt als Hemmer des Muskelwachstums eine Proteolyse sowie Muskelatrophie. Zudem ist es eines der Mediatoren von Insulinresistenz-assoziiertem Muskelschwund. Es hemmt die Proliferation und Differenzierung von Satellitenzellen und beeinflusst somit das Muskelwachstum negativ. Myostatin gelangt über die systemische Zirkulation zur Leber und aktiviert die Sternzellen, die wiederum die Fibrogenese fördern.5
Hormone
Sowohl bei der Sarkopenie als auch bei Adipositas und der metabolischen Fettlebererkrankung werden erniedrigte Level von GH (Somatotropin) und IGF-1 («insulin-like growth factor 1») gefunden. Dies fördert zum einen wiederum die Fibrogenese, zum anderen über einen verminderten PI3K/Akt-Signalweg ebenso Proteolyse und Muskelatrophie.
Auch verminderte Vitamin-D- sowie Testosteron- und Estradiol-Spiegel fördern die Entstehung einer Sarkopenie.5
Darmmikrobiom
Die bei Zirrhose bestehende chronische Inflammation wird durch eine veränderte Diversität des Darmmikrobioms sowie vermehrte intestinale Permeabilität weiter verstärkt. Veränderungen der Darm-Leber-Muskel-Achse im Sinne einer Dysbiose sind bei Patient:innen mit Leberzirrhose mit der Entstehung einer Sarkopenie assoziiert.6
Adipositas und «sarcopenic obesity»
Adipositas schliesst eine konkomitant vorliegende Mangelernährung nicht aus. Insbesondere in Anbetracht der steigenden Zahl an Patient:innen mit Adipositas, MASLD(«metabolic dysfunction-associated steatotic liver disease») und MASH-assoziierter Leberzirrhose ist zu beachten, dass die Zunahme an Fettgewebe oftmals mit einem Verlust an Muskelmasse einhergeht.7, 8
Insulinresistenz
Insulinresistenz führt zur Proteolyse im Skelettmuskel sowie zur Muskelatrophie, zudem verstärkt sie die Lipolyse, was eine ektope Fettakkumulation in Leber- und Skelettmuskel bedingt. Die resultierende Myosteatose verstärkt wiederum die Insulinresistenz.5
Mangelernährung, Alkohol und körperliche Inaktivität
Bei Leberzirrhose kommt es aufgrund verminderter hepatischer Glykogenspeicher zur kompensatorisch gesteigerten Glukoneogenese, was in einem erhöhten Energiebedarf resultiert. Bei unzureichender Nahrungsaufnahme und verminderter körperlicher Aktivität führt dies zum Abbau körpereigener Proteinspeicher und zum Verlust von Muskelmasse. Daraus resultiert eine chronische katabole Stoffwechsellage, was eine Intoleranz gegenüber längeren Fastenepisoden verursacht.
Patient:innen mit alkoholassoziierter Lebererkrankung zeigen die höchste Sarkopenieprävalenz. Alkoholkonsum bedingt eine verstärkte Autophagie, Myostatinaktivierung sowie mTOR-Inhibition und vermindert somit die Muskelproteinsynthese.4
Diagnostik
Insbesondere Patient:innen im Child-Pugh-Stadium C oder mit einem BMI von weniger als 18,5kg/m2 sind gefährdet, eine Sarkopenie zu entwickeln. Ein Ernährungsscreening sollte jedoch bei allen Patient:innen mit Leberzirrhose durchgeführt werden.7
In der Diagnostik der Sarkopenie findet insbesondere der Skelettmuskelindex (SMI) Anwendung. Die in der Schnittbildgebung (CT oder MRT) auf Höhe L3 gemessene Muskelfläche wird auf die Körpergrösse des Patienten bzw. der Patientin normalisiert, Werte von <50cm2/m2 bei Männern bzw. <39cm2/m2 bei Frauen sprechen für das Vorliegen einer Sarkopenie.9 Alternativ kann bildgebend die transversale Psoasdicke gemessen werden, zudem finden Anthropometrie (Messung des Oberarmumfangs) und Bioimpedanzmessung Anwendung.7 Neben der Muskelmasse wird auch die Muskelfunktion bzw. -stärke getestet. Dabei werden unter anderem die Handkraftmessung, der 4-Meter-Gehtest und der Stuhl-Aufstehtest verwendet.7
Therapie
Neben der Therapie der Grundkrankheit inklusive etwaiger Komplikationen sollten bei Patient:innen mit Leberzirrhose und Sarkopenie Ernährungsberatung und diätetische Massnahmen (insbesondere Alkoholkarenz und Einhalten von Kalorien- sowie Proteinzielen) und nach Möglichkeit körperliches Training erfolgen. Da Fastenperioden vermieden werden sollten, wird eine kohlenhydratreiche Spätmahlzeit empfohlen. Bislang gibt es noch keine höhergradige Evidenz oder einen Konsensus bezüglich einer spezifischen medikamentösen Therapie.7
Fazit
Die Sarkopenie ist eine häufige Komplikation bei Patient:innen mit Leberzirrhose und verschlechtert deren Prognose sowie die Lebensqualität signifikant. Alle Patient:innen mit Leberzirrhose sollten ein Ernährungsscreening erhalten. Bereits bei klinischem Verdacht sollten eine spezifische ernährungsmedizinische Beratung sowie physikalische Therapiemassnahmen erfolgen.
Literatur:
1 Tantai X et al.: Effect of sarcopenia on survival in patients with cirrhosis: A meta-analysis. J Hepatol 2022; 76: 588-99 2 Wiedmer P et al.: Sarcopenia - molecular mechanisms and open questions. Ageing Res Rev 2021; 65: 101200 3 Dent E et al.: International Clinical Practice Guidelines for Sarcopenia (ICFSR): Screening, diagnosis and management. J Nutr Health Aging 2018; 22: 1148-61 4 Ebadi M et al.: Sarcopenia in cirrhosis: from pathogenesis to interventions. J Gastroenterol 2019; 54: 845-59 5 Kuchay MS et al.: Non-alcoholic fatty liver disease-related fibrosis and sarcopenia: An altered liver-muscle crosstalk leading to increased mortality risk. Ageing Res Rev 2022; 80: 101696 6 Ponziani FR et al.: Characterization of the gut-liver-muscle axis in cirrhotic patients with sarcopenia. Liver Int 2021; 41: 1320-34 7 European Association for the Study of the Liver: EASL Clinical Practice Guidelines on nutrition in chronic liver disease. J Hepatol 2019; 70: 172-93 8 Carias S et al.: Nonalcoholic steatohepatitis is strongly associated with sarcopenic obesity in patients with cirrhosis undergoing liver transplant evaluation. J Gastroenterol Hepatol 2016; 31: 628-33 9 Carey EJ et al.: A multicenter study to define sarcopenia in patients with end-stage liver disease. Liver Transpl 2017; 23: 625-33
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