„Neuland in der Rheumatologie“
Unser Gesprächspartner:
Dr. Philipp Klemm
Abteilung für Rheumatologie & Klinische Immunologie, Kerckhoff-Klinik, Bad Nauheim stv. Sprecher der Kommission Rehabilitation, Physikalische Therapie und Sozialmedizin der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie
Das Interview führte Dr. Felicitas Witte
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Im Gegensatz zu vielen Krebserkrankungen gibt es für die rheumatoide Arthritis noch keine Biomarker, anhand derer man die Therapie individuell anpassen kann. Eine internationale Forschergruppe hat jetzt versucht, mithilfe von Synoviabiopsien eine stratifizierte Therapie vorzunehmen, wobei der primäre Endpunkt – Besserung im ACR20 nach 16 Wochen bei den B-Zell-armen Patienten – nicht erreicht wurde.1 Warum es so schwierig ist, personalisierte Behandlungen anhand von Biomarkern zu finden, erklärt Dr. Klemm aus Bad Nauheim.
Wird die Synoviabiopsie neuer Standard zur Diagnostik der rheumatoiden Arthritis (RA) werden?
P. Klemm: Einen stratifizierten bis individuellen Therapieansatz halte ich für absolut wünschenswert. Den „Tatort“ der Gelenkentzündung im Sinne einer Synoviabiopsie zu untersuchen ist einleuchtend, aber – wie in dieser Studie sichtbar – im untersuchten Ansatz noch nicht weit genug entwickelt. Ein Hype ist es sicherlich nicht, sondern ein logischer und benötigter Weg, um ein „unmet need“ zu lösen. Es fehlen bisher prädiktive Biomarker für die Wahl der Behandlung. Da wir deshalb nicht zuverlässig vorhersagen können, wie Patienten auf bestimmte Medikamente ansprechen, basiert die derzeitige RA-Behandlung auf „trial and error“. Dies wollte die Studie richtigerweise ändern – und scheiterte dabei. Die Ergebnisse spiegeln die Arbeit derselben Forschergruppe aus dem Jahr 2021 wider, der R4RA-Studie.2 Dort wendeten die Forscher einen ähnlichen histologischen Ansatz wie in der aktuellen Studie an, um das Ansprechen der Patienten auf Tocilizumab oder Rituximab zu vergleichen. Der alleinige Marker „B-Zell-arm“ reichte aber nicht aus, um ein Therapieansprechen auf Tocilizumab oder Rituximab vorherzusagen. R4RA2 wie auch STRAP und STRAP-EU1 bestätigen aus meiner Sicht, dass die reine Histologie nicht der richtige Weg ist, um zu verstehen, was im Gewebe vor sich geht oder um Therapievorhersagen zu treffen. Der rein dichotome Histologieansatz – B-Zell-reich versus B-Zell-arm – scheint ungenügend. Eine Kombination mit verschiedenen „-omics“-Ansätzen wie auch RNA-Analysen mit gegebenenfalls auch räumlicher Aufteilung könnte jedoch der Weg sein, um das Synovialgewebe als Eintrittskarte in die rheumatologische Präzisionsmedizin zu benutzen.
In der Krebsmedizin haben wir schon seit Langem stratifizierte Therapien, basierend auf histopathologischen und genetischen Untersuchungen. Warum steckt die Forschung zur RA diesbezüglich noch in den Kinderschuhen?
P. Klemm: Schon lange weiß man, dass die Histologie des Tumorgewebes mit dem Therapieansprechen und damit dem Überleben verknüpft ist. Die weitere Aufarbeitung über die Histologie hinaus, die ja ohnehin gewonnen wird, ist somit ein logischer Schritt. In dieser Art und Weise arbeitet die Rheumatologie aber nicht. Die Gewinnung von Gewebeproben ist Neuland und hier sollte dem Fachgebiet ein ähnlicher Entwicklungszeitraum gewährt werden.
Zudem sind solide Malignome in ihrer Entität begrenzt und die entartete Zelle ist klar erkenn- und differenzierbar, einschließlich der Unterscheidung gegenüber anderen, gutartigen Zellen. Insgesamt ist die entartete Zelle für den Gesamtorganismus nicht mehr nützlich, sondern nur schadhaft und kann bzw. muss komplett eliminiert werden. Immunologisch vermittelte Erkrankungen sind in dieser Hinsicht gänzlich anders, da eine Vielzahl an Zellen an der Pathogenese der Erkrankung beteiligt ist und es nicht die eine entartete Zelle gibt, die es zu zerstören gilt. Außerdem sind die Zellen nicht entartet, sondern nehmen weiterhin regelhaft ihre Aufgaben wahr, erkennen nur leider überdies körpereigene Strukturen als krank an. Eine gänzliche „Ausrottung“ aller Zellen, die am Prozess der RA beteiligt sind, würde die derartig behandelten Menschen ohne funktionierendes Immunsystem zurücklassen. Ein Gleichgewicht ist zu wahren und die Veränderungen zum „gesunden“ Gleichgewicht sind – unter anderem aufgrund der Vielzahl an beteiligten Zellen – viel schwieriger herauszufinden.
Literatur:
1 Rivellese F et al.: Stratification of biological therapies by pathobiology in biologic-naive patients with rheumatoid arthritis (STRAP and STRAP-EU): two parallel, open-label, biopsy-driven, randomised trials. Lancet Rheumatol 2023; 5(11): e648-59 2 Humby F et al.: Rituximab versus tocilizumab in anti-TNF inadequate responder patients with rheumatoid arthritis (R4RA): 16-week outcomes of a stratified, biopsy-driven, multicentre, open-label, phase 4 randomised controlled trial. Lancet 2021; 397(10271): 305-17
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