Klimawandel und Stechmücken: wenn die „Tropenkrankheiten“ zu uns kommen
Bericht:
Reno Barth
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Es wird wärmer. Bis 2100 ist in Mitteleuropa sowohl eine Steigerung der Gesamttemperaturen als auch eine Zunahme der Wetterlagen mit mehr als 38°C zu erwarten. Das hat gesundheitliche Konsequenzen: Von direkten Hitzefolgen abgesehen wird der Klimawandel auch vektorübertragene Erkrankungen beeinflussen. Einige Erreger und ihre Vektoren dürften es in Zukunft leichter haben als bisher.
Für die Zeit von 2081 bis 2100 wird im Vergleich zu 1986 bis 2005 ein Anstieg der globalen mittleren Oberflächentemperaturen zwischen 0,3°C und 4,8°C vorhergesagt. Gleichzeitig werde es mehr regnen, so Prof. Dr. Tomas Jelinek, medizinischer Direktor des BCRT, des Berliner Centrums für Reise- und Tropenmedizin, sowie wissenschaftlicher Leiter des CRM, des Centrums für Reise- und Tropenmedizin Düsseldorf, im Rahmen des Eröffnungsvortrags beim Österreichischen Infektionskongress in Saalfelden. Dies betrifft sowohl den Starkregen als auch die Gesamtniederschläge, die allerdings sehr ungleich verteilt sein werden. In trockenen Regionen wird mit einer Abnahme der Niederschläge gerechnet. Auch eine Zunahme El-Niño-bedingter Niederschlagsschwankungen wird vorausgesagt.
Man kann erwarten, so Jelinek, dass diese Veränderungen auch gesundheitliche Auswirkungen mit sich bringen werden. Dazu zählen hitzebedingte Erkrankungen, wie Hitzestress, Atemwegserkrankungen, einschließlich solcher, die durch Feinstaub verschlimmert werden, sowie Infektionskrankheiten, wie durch Vektoren übertragene Krankheiten.1 Letzterewerden von besonderer Bedeutung sein. So listet eine im vergangenen Jahr publizierte Arbeit unterschiedliche „exposure pathways“ auf, die alle zum gleichen Ergebnis führen: nämlich verstärkter Exposition des Menschen gegenüber Krankheitserregern.2
Was die Zahl publizierter Studien zum Thema Klimawandel und Infektionskrankheiten angeht, so gilt das höchste Interesse den von Stechmücken übertragenen Krankheiten Malaria und Dengue-Fieber. Hinsichtlich der Vektoren wird am meisten zu den Stechmücken publiziert.3
Malaria kommt jetzt auch in größerer Seehöhe vor
Das Interesse an den Mücken erklärt sich aus dem enormen Schaden, den sie anrichten. Nach WHO-Daten sind durch Stechmücken übertragene Krankheiten jährlich für 725000 Todesfälle verantwortlich. Zum Vergleich: Rund 50000 Menschen sterben jedes Jahr an Schlangenbissen. Während Malaria im Zentrum des Interesses steht, sollte auch nicht auf die zahlreichen anderen Erkrankungen vergessen werden, die zum Teil von denselben Vektoren übertragen werden. So überträgt die nachtaktive, von sauberem Wasser abhängige und eher in ländlichen Gebieten beheimatete Anopheles-Mücke neben der Malaria unter anderem auch die lymphatische Filariose und das O’nyong-nyong-Fieber. Insgesamt sind mehr als 400 Anopheles-Arten beschrieben, von denen rund 80 als Vektoren aktiv sind. Die Malariaübertragung erfolgt bei warmem Wetter (ab 16°C), nicht jedoch bei extremer Hitze (ab 33°C). Auch in Höhen über 1800m besteht keine Übertragungsgefahr, wobei sich auch das mit dem Klimawandel ändern könnte, zumal mit zunehmender Temperatur der Sauerstoffpartialdruck in der Höhe ansteigt. Tatsächlich kann dieser Effekt bereits beobachtet werden. Jelinek berichtete von gemeldeten Malariafällen im Kathmandu-Tal und in größeren Höhen um den Kilimandscharo, wo man diese Erkrankung bis vor Kurzem noch nicht kannte.
Malaria war von Beginn des Jahrtausends an auf dem Rückzug. Dies lag einerseits an ehrgeizigen Programmen, die unter anderem von der Bill & Melinda Gates Foundation finanziert wurden, andererseits aber auch an zunehmender Urbanisierung. Mit ihrem Bedarf an sauberem Wasser ist Anopheles auf einigermaßen intakte Ökosysteme angewiesen. Zwischen 2000 und 2015 ging nach WHO-Daten die Zahl der Malariafälle um 37% und die Zahl der Malariatoten um 60% zurück. Besonders deutlich fiel die Reduktion von Kindersterblichkeit infolge von Malaria in Subsahara-Afrika aus. China wurde 2021 schließlich für malariafrei erklärt.
Leider kommt es laut WHO seit 2016 in Teilen Afrikas zu einer neuerlichen Zunahme von Malariafällen, während in Indien der sehr deutliche Rückgang anhält. Die Gründe dafür sind jedoch unbekannt, erläuterte Jelinek. Die Corona-Pandemie hat die Situation weiter erschwert, da in dieser Zeit Kontrollmaßnahmen zurückgefahren wurden.
Die Klimaerwärmung wird also dazu führen, dass künftig mehr Menschen mit Plasmodium falciparum, dem Erreger der Malaria tropica, in Kontakt kommen werden. Dies betrifft Europa praktisch nicht, sehr wohl aber den Süden der USA oder Teile der Türkei. Am stärksten wird die Malariaexposition allerdings in Afrika südlich der Sahara zunehmen. Jelinek: „Hier wird man einen wesentlich höheren Infektionsdruck haben und darauf reagieren müssen.“ Die Lage wird durch besondere Problemmücken erschwert. So hat sich die aus Südasien stammende Anopheles stephensi an schmutziges Wasser und urbane Umgebung angepasst und verursacht Ausbrüche in den großen indischen Städten. Mittlerweile wird diese Mücke auch in Afrika gefunden und führt dort in manchen Regionen zu einem massiven Anstieg der Fallzahlen. Die WHO hat daher eine Initiative zur Kontrolle von Anopheles stephensi gestartet.
Ein weiteres relativ neues Problem stellt die „Affenmalaria“, verursacht durch Plasmodium knowlesi, dar. Infolge der Abwanderung von Affenpopulationen aus den gerodeten Regenwäldern von Borneo in die Nähe menschlicher Siedlungen ist der Erreger auf den Menschen übergesprungen und verursacht eine besonders schwer verlaufende Malaria mit hoher Mortalität.4 Hinzu kommt eine starke Zunahme von Resistenzen. Jelinek: „Wir sind gerade dabei, Artemisinin zu verlieren, das 2006 als das Mittel der Wahl ausgerufen wurde. Die Entwicklung neuer Malariamedikamente ist dringend geboten.“
Aedes: anpassungsfähige Überträgerin zahlreicher Erkrankungen
Die zahlreichen Spezies der tagaktiven Kulturfolgerin Aedes übertragen Dengue-Fieber, Gelbfieber, Chikungunya, Zika und die lymphatische Filariose. Aedes profitiert von der Klimaerwärmung. Vor allem die Art Aedes albopictus (Asiatische Tigermücke) ist mittlerweile in Europa weit verbreitet und wurde unter anderem schon in Berlin nachgewiesen. Im Gegensatz dazu benötigt die Gelbfiebermücke Aedes aegyptii wärmeres Klima und kann daher in Europa derzeit nicht heimisch werden. Eine Ausbreitung im Süden der USA findet allerdings bereits statt. Der Experte betonte, dass es derzeit vor allem um Mücken und noch nicht um die von ihnen übertragenen Krankheiten geht. Da diese Mücken jedoch das Potenzial haben, die genannten Krankheiten zu übertragen, können die verschiedenen Erreger folgen.
Als „Pandemie, um die wir uns lange nicht gekümmert haben“, bezeichnet Jelinek die rapide Ausbreitung von Dengue-Fieber. Seit den 1970er-Jahren verzeichnete die WHO einen Anstieg der Zahl der gemeldeten Fälle von 300000 auf mehr als fünf Millionen pro Jahr (Abb. 1). Dengue ist mittlerweile in ganz Mittel- und Südamerika, Teilen Afrikas sowie in Indien und Südostasien heimisch. In Europa werden bei Reisenden mehr Dengue-Erkrankungen berichtet als Malariafälle.5
Abb. 1: Rapide Zunahme der Dengue-Zahlen (modifiziert nach Jelinek T 2022)5
Aktuell findet in Amerika ein massiver Ausbruch statt und auch in Asien liegen die Meldezahlen 2024 weit über den Werten des Vorjahres. Für Afrika hat die WHO einen Ausbruch prognostiziert, der sich seit 2023 entfaltet. Aufgrund der Anpassungsfähigkeit der Aedes-Mücke müsse man sich auch in Europa in naher Zukunft nicht nur auf eingeschleppte Fälle, sondern auch auf regionale Übertragung gefasst machen. Kleine Cluster werden beispielsweise in Frankreich immer wieder beobachtet. Jelinek: „Das wird sicher auch noch in größerem Maßstab stattfinden.“ Das Gleiche gilt für Chikungunya, das ebenfalls von Aedes-Spezies übertragen wird. Dieses Virus wurde insofern unterschätzt, als man es lange Zeit für weitgehend harmlos hielt. Mittlerweile weiß man, dass auch bei Chikungunya schwere Verläufe und Komplikationen möglich sind. Eine brasilianische Kohortenstudie zeigte bei Chikungunya-Infektion ein im Vergleich zu gesunden Kontrollen um den Faktor 8,4 erhöhtes Sterberisiko. In vielen Fällen bleiben nach der akuten Erkrankung über Wochen oder Monate sehr schmerzhafte Arthritiden bestehen.6
Ebenfalls stark ausgebreitet hat sich seit seiner Entdeckung in den 1960er-Jahren das Zika-Virus, das insofern besonders problematisch ist, als Infektionen in der Schwangerschaft zu schweren Schädigungen des Fötus führen. Nach einem schweren Ausbruch in Südamerika in den Jahren 2016 und 2017 ist die Situation derzeit ruhig, mit lediglich vereinzelten Erkrankungen.
In Europa werde es voraussichtlich auf absehbare Zeit nicht zu größeren Ausbrüchen der genannten Erkrankungen, sehr wohl aber zu begrenzten Clustern kommen. Der wesentliche Grund dafür liegt in den nach wie vor relativ kühlen Wintern, in denen die Mücken nicht aktiv sind, was zum Abbruch beginnender Epidemien führt. Jedem Cluster muss also ein neuerlicher Import des Erregers vorausgehen.
Tiertransporte, geänderte Zugvögelrouten und der Vektor Culex
Im Gegensatz zu den zuvor genannten, auf den Menschen spezialisierten Mückenist die Culex-Stechmücke bei der Blutmahlzeit nicht wählerisch und in der Folge ein potenzieller Verbreiter von Zoonosen. Zu den von Culex übertragenen Krankheiten zählen die Japanische Enzephalitis, das West-Nil-Fieber, die lymphatische Filariose, das Rift-Valley-Fieber, das Ross-River-Fieber, die St.-Louis-Enzephalitis und die Western-Equine-Enzephalitis. Auch diese Krankheiten können sich ausbreiten. So trat 2022 erstmals in Australien Japan-Enzephalitis auf. Grund war der Import von Schweinen aus China, die das Virus zunächst in australische Schweinefarmen einschleppten. Da in Australien Culex-Arten leben, die Japan-Enzephalitis übertragen können, kam es auch zu menschlichen Infektionen. Das West-Nil-Virus wurde 1999 in die USA eingeschleppt und dort, trotz aller Bemühungen zur Eindämmung, mittlerweile endemisch. Auch in Europa treten Fälle auf, wobei sich das Verbreitungsgebiet infolge des Klimawandels verändert hat. Zugvögel, die für die Verbreitung des Virus entscheidend sind, fliegen mittlerweile immer häufiger nicht mehr nach Afrika, sondern überqueren das südliche Mitteleuropa und überwintern im Süden Spaniens. Eine Folge ist, dass in den betroffenen Gebieten das Blutspendesystem heruntergefahren werden musste. Erst seit Kurzem sind Tests verfügbar.
Quelle:
„Klimawandel & Infektionen“; Vortrag von Prof. Dr. Tomas Jelinek, Berlin, im Rahmen des ÖIK am 9. April 2024 in Saalfelden
Literatur:
1 Patz JA et al.: JAMA 2014; 312(15): 1565-80 2 Edelson PJ et al.: CID 2023; 76: 950-6 3 Van de Vuurst P, Escobar LE: Infect Dis Poverty 2023; 12(1): 51 4 Cox-Singh J, Singh B: Trends Parasitol 2008, 24: 406-10 5 Jelinek T: Thieme-Refresher Reisemedizin 2022; 12: 1-12 6 Cerqueira-Silva CB et al.: Lancet Infect Dis 2024; 24(5): 504-13
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