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Serie Diabetesmanagement

Diabetesprävention ist machbar

Mehr körperliche Aktivität, Ernährungsumstellung und Gewichtsabnahme reduzieren das Diabetesrisiko oder können sogar zu einer Diabetesremission führen. Wie dies in der Praxis gelingt, erklärte Prof. Dr. med. Roger Lehmann, Zürich, in einem Vortrag am FOMF Diabetes Update Refresher.

Diabetes und Adipositas treten häufig zusammen auf und beeinflussen sich gegenseitig. In der Schweiz sind aktuell rund 500000 Menschen von Diabetes und etwa 1Mio. von Adipositas betroffen. Drei von zehn Menschen mit Adipositas haben auch einen Typ-2-Diabetes (T2D) und umgekehrt haben neun von zehn mit T2D auch eine Adipositas.

Zwischen den beiden Krankheiten gibt es eine Syndemie, indem die Adipositas die beiden Kerndefekte des T2D, nämlich die Insulinresistenz und die Betazelldekompensation, verstärkt. Jeder adipöse Mensch hat eine Insulinresistenz. Ob sich daraus aber ein T2D entwickelt, hängt von der Inselfunktion ab. «Kann das Pankreas die Insulinresistenz kompensieren, bleibt die Inselfunktion normal und es entsteht kein Diabetes. Bei Patient:innen mit genetischer Disposition für eine abnorme Inselfunktion entwickelt sich aus der Insulinresistenz hingegen ein Diabetes», erläuterte Lehmann. Die Insulinproduktion sinkt auch mit zunehmendem Alter und der Diabetesdauer. Diese Entwicklung lässt sich nur durch mehr Bewegung und Gewichtsreduktion aufhalten. Der Weg in den Normbereich ist bei Prädiabetes kürzer als bei bereits manifestem T2D. Es lohnt sich deshalb, diese Massnahmen frühzeitig zu ergreifen.

Sport wirkt wie ein lang wirksames Insulin

Die Glukoseaufnahme aus dem Blut in die Zelle erfolgt über die Zuckertransporter GLUT-4. Bindet Insulin an den Insulinrezeptor, kommt es über verschiedene Mechanismen zu einer Translokation von GLUT-4 vom Zellinneren an die Zelloberfläche, wo sie Glukose aufnehmen. «Bei T2D ist die Anzahl der GLUT-4-Transporter, die eine Zelle rekrutieren kann, reduziert. Durch körperliche Aktivität können die GLUT-4-Transporter jedoch über die insulinunabhängige AMP-aktivierte Kinase aktiviert werden, sodass sie an die Zelloberfläche wandern und dort Glukose aufnehmen. Mit anderen Worten: Körperliche Aktivität senkt den Blutzucker ohne Insulin», erklärte der Referent. Diese Wirkung hält etwa 16 bis 24 Stunden an, also gleich lange wie ein lang wirksames Insulin. Je länger die Aktivität dauert, desto grösser ist auch die blutzuckersenkende Wirkung. Bei Patient:innen, die mit Sulfonylharnstoffen oder Insulin behandelt werden, kann dies zu Hypoglykämien führen, weshalb die Medikation an die körperliche Aktivität angepasst werden muss.

Sport korrigiert pathologische Mechanismen

Neben der Reduktion des Blutzuckerspiegels hat körperliche Aktivität noch viele andere gesundheitsfördernde Effekte: Sie verbessert die vaskuläre Endothelfunktion sowie die autonome Balance zwischen Sympathikus und Parasympathikus, verstärkt die vaskuläre Angiogenese/das Remodelling (auch am Herzen) und führt zu einer kardialen Präkonditionierung. Durch die Zunahme von Muskelmasse kommt es zudem zu einer vermehrten Ausschüttung von verschiedenen Zytokinen und anderen Botenstoffen, was eine Abnahme des viszeralen Fetts und der systemischen Entzündung zur Folge hat.1 «Bewegung ist also das Mittel, um sehr viele pathologische Mechanismen zu korrigieren», so Lehmann. Sie sollte deshalb gerade in der Diabetesprävention vermehrt in den Fokus rücken.

Lifestylemassnahmen senken das Diabetesrisiko

Der Effekt von Lifestylemassnahmen auf das Diabetesrisiko ist gut untersucht. Eine finnische Präventionsstudie zeigte, dass Patient:innen mit Prädiabetes allein mit solchen Massnahmen – Gewichtsabnahme um 5%, Ernährung, die reich an Fasern (>15g/1000kcal) und arm an Fett (<30% der Kalorien) und gesättigten Fettsäuren (<10%) ist, sowie täglich mindestens 30 Minuten Bewegung – das Diabetesrisiko um 58% senken können.2 Bei praktisch allen Studienteilnehmer:innen, die alle Lifestylevorgaben erfolgreich umgesetzt haben, hat sich die Stoffwechsellage normalisiert. Hingegen entwickelte sich bis zum Studienende bei 30–35% der Proband:innen in der Kontrollgruppe ohne Massnahmen ein T2D.2

In einer US-amerikanischen Studie wurde die Wirkung von Lebensstilveränderungen mit Metformin und Placebo bei Prädiabetes verglichen. In der Metformingruppe sank das Diabetesrisiko um 31% und in der Gruppe mit Lifestylemassnahmen um 58%.3 Dabei hat sich gezeigt, dass der Gewichtsverlust den entscheidenden Unterschied gemacht hat. Mit Lifestylemassnahmen hatten die Proband:innen nach 6 Monaten und nach 48 Monaten 7kg resp. 4kg abgenommen und mit Metformin nur 2,5kg resp. 1,8kg.

Der Gewichtsverlust ist entscheidend

«Je mehr Gewicht abgenommen wird, desto mehr kann das Diabetesrisiko reduziert werden», stellte Lehmann fest und verwies auf entsprechende Daten. So zeigte eine Studie zur Wirkung von Lebensstilmassnahmen, dass bei einem Gewichtsverlust von 15kg das Diabetesrisiko um 86% sinkt.4

Eine Arbeit mit dem neuen, in der Schweiz für die Behandlung der Adipositas zugelassenen GLP-1-Rezeptor-Agonisten Semaglutid (Wegovy®) lieferte ähnliche Resultate. Eingeschlossen waren übergewichtige und adipöse Patient:innen. Sie verloren durchschnittlich 18kg Gewicht und senkten ihr Diabetesrisiko um 83%.5,6 Mit dem GLP-1-/GIP-Agonisten Tirzepatid (Mounjaro®), der in der Schweiz für die Behandlung von T2D zugelassen ist, haben die Proband:innen in einer Studie knapp 24kg Gewicht abgenommen und das Diabetesrisiko um 95% reduziert.7

Ursache mitbehandeln

Der Nutzen einer Gewichtsabnahme, die allein mit Medikamenten erreicht wird, muss allerdings von einer Gewichtsreduktion, die allein mit Lebensstilmassnahmen erzielt wird, unterschieden werden. Zwar ist es einfacher, mit Medikamenten Gewicht zu verlieren, und die Gewichtsabnahme ist meistens grösser, aber durch vermehrte körperliche Aktivität und eine gesunde Ernährung wird immer auch die Diabetesursache mitbeeinflusst. «Dies führt erwiesenermassen zu einem nachhaltigeren Ergebnis», so Lehmann. Wird der Gewichtsverlust allein mit Medikamenten erzielt, steigt nach Absetzen derselben das Gewicht und damit auch das Diabetesrisiko rasch wieder an. «Aus diesem Grund sollten Lifestylemassnahmen immer ein fester Bestandteil der Diabetesprävention sein. Dabei sind körperliche Aktivität und Gewichtsverlust durch Änderung der Ernährungsgewohnheiten zwei unabhängige Faktoren», betonte der Experte.

«Fit-fat» ist besser als «unfit-unfat»

Generell gilt: Pro Kilogramm Gewichtsverlust kann die Diabetesinzidenz durchschnittlich um 13% gesenkt werden. «Bei einem Gewichtsverlust von 20kg verschwindet der T2D bei 95% der Betroffenen», fasste Lehmann die aktuelle Datenlage zusammen. Aber auch ein geringerer Gewichtsverlust von 5kg reduziert das Diabetesrisiko um 60% (Abb. 1).8 Darüber hinaus führt eine Abnahme des Gewichts um 5–10% in Kombination mit mehr Bewegung zu einer deutlichen Verbesserung zusätzlicher kardiovaskulärer Risikofaktoren.

Abb. 1: Schon ein geringer Gewichtsverlust von 5kg reduziert das Diabetesrisiko um 60% (adaptiert nach Hamman RF et al. 2006)8

«In Bezug auf die Mortalität ist jedoch nicht das Gewicht der entscheidende Faktor, sondern die regelmässige körperliche Aktivität», so der Referent weiter. Wesentlich ist nicht, ob jemand übergewichtig ist oder nicht, sondern ob jemand fit oder unfit ist (Abb. 2).9 «Es ist also besser, adipös und fit zu sein also schlank und unfit. Die körperliche Aktivität muss in der Diabetesprävention deshalb vermehrt ins Zentrum gerückt werden», forderte Lehmann.

Abb. 2: Gesamtmortalität: besser fit und adipös als unfit und schlank (adaptiert nach Lee CD et al.)9

Von der Theorie zur Praxis

Für Normalgewichtige werden täglich 30 Minuten Bewegung empfohlen. Adipöse Menschen, die ihr Gewicht reduzieren wollen, müssen jedoch deutlich mehr Zeit aufwenden – täglich 75 bis 80 Minuten. «Das gelingt im täglichen Büroalltag meist nur, wenn auch der Arbeitsweg täglich zu Fuss zurückgelegt wird», so Lehmann. Wer täglich 5–7km zu Fuss geht, verliert pro Woche ungefähr ein halbes Kilogramm Gewicht.

Bei der Ernährungsumstellung ist es wichtig, energiedichte Lebensmittel durch natürliche, nicht prozessierte zu ersetzen. Die mediterrane Ernährung hat sich dabei mehrfach als ideal erwiesen und ist z.B. einer Low-Carb-Diät, die zwar kurzfristig zu einem grösseren Gewichtsverlust führt, langfristig überlegen.10 Mit zunehmender Magenfüllung nimmt die Sekretion von Ghrelin ab und damit auch der Hungerreiz. Es wird deshalb empfohlen, zuerst Nahrungsmittel mit niedriger Energiedichte, wie Salat, Gemüse und fettarme Proteinlieferanten, zu essen und erst am Schluss die Kohlenhydrate. Dies hilft dabei, weniger davon zu essen.

«Idealerweise kombiniert man natürlich mehr Bewegung und gesunde Ernährung miteinander. Beides gehört meines Erachtens auch bei der Behandlung der Adipositas mit den neuen medikamentösen Therapien dazu. Wahrscheinlich könnte die Gewichtsreduktion dadurch noch erhöht werden und es könnte wohl ein sehr grosser Effekt auf die Mortalität erzielt werden», prognostizierte der Referent abschliessend.

FOMF Diabetes Update Refresher, 9. bis 12. November 2023, Zürich

1 Fiuza-Luces C et al.: Exercise benefits in cardiovascular disease: beyond attenuation of traditional risk factors. Nat Rev Cardiol 2018; 15: 731-43 2 Tuomilehto J et al.: Prevention of type 2 diabetes mellitus by changes in lifestyle among subjects with impaired glucose tolerance. N Engl J Med 2001; 344: 1343-50 3 Kowler WC et al.: Reduction in the incidence of type 2 diabetes with lifestyle intervention or metformin. N Engl J Med 2002; 346: 393-403 4 Lean MEJ et al.: Primary care-led weight management for remission of type 2 diabetes (DiRECT): an open-label, cluster-randomised trial. Lancet 2018; 391: 541-51 5 Rubino D et al.: Effect of continued weekly subcutaneous semaglutide vs placebo on weight loss maintenance in adults with overweight or obesity: the STEP 4 randomized clinical trial. JAMA 2021; 325: 1414-25 6 Wilding JPH et al.: Once-weekly semaglutide in adults with overweight or obesity. N Engl J Med 2021; 384: 989-1002 7 Jastreboff AM et al.: Tirzepatide once weekly for the treatment of obesity. N Engl J Med 2022; 387: 205-21 8 Hamman RF et al.: Effect of weight loss with lifestyle intervention on risk of diabetes. Diabetes Care 2006; 29: 2102-7 9 Lee CD et al.: Cardiorespiratory fitness, body composition, and all-cause and cardiovascular disease mortality in men. Am J Clin Nutr 1999; 69: 373-80 10 Lean MEJ et al.: Durability of a primary care-led weight-management intervention for remission of type 2 diabetes: 2-year results of the DiRECT open-label, cluster-randomised trial. Lancet Diabetes Endocrinol 2019; 7: 344-55

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