Rolle der KI bei Steinleiden: Ist dies die Zukunft?
Autoren:
Dr. Julian Veser
Dr. Jérôme Sebastian Weiss
Universitätsklinik für Urologie
MedUni Wien
E-Mail: julian.veser@meduniwien.ac.at
Künstliche Intelligenz hat mittlerweile Einzug in die moderne Medizin gehalten. Von computergestützter Patientenselektion und -aufklärung, über die Diagnostik bis zu Therapiealgorithmen scheinen weitere Implementierungen hinsichtlich Patientenmonitoring, Forschung und Ausbildung nicht weit entfernt. Auch die Steintherapie kann hiervon profitieren.
Keypoints
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Künstliche Intelligenz vereinfacht schon heute die Patient:innenaufklärung, Patient:innenselektion, Diagnostik und Therapiealgorithmen und befindet sich auf dem wissenschaftlichen Vormarsch in der Urologie.
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Zukünftige Felder für KI-Implementierung in der Urologie sind Patientenmonitoring, Metaphylaxe, biomedizinische Forschung, Radiomics und Unterstützung im individuellen Therapieregime und in der ärztlichen Entscheidungsfindung.
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Datensicherheit, Ergebnisvalidierung und rechtliche Verantwortung werden zukünftige Limitationen der KI darstellen, sodass entsprechende Maßnahmen und Regeln zum Nutzen von künstlicher Intelligenz in der modernen Medizin eingeführt werden sollten.
Künstliche Intelligenz: Wer? Wie? Was? Wozu?
Die künstliche Intelligenz (KI) dient als Überbegriff für das Ausführen von Aufgaben, welche normalerweise menschliche Intelligenz erfordern. Hierunter fallen mitunter visuelle Wahrnehmung, Entscheidungsfindung sowie Spracherkennung und -übersetzung. Eine Untergruppe der KI stellt das maschinelle Lernen (ML) dar. Muster und Strukturen werden hierbei mittels erstellter Algorithmen in großen Datenmengen durch Computer erkannt und entsprechende Vorhersagen auf dieser Basis getroffen. Dem Computer (KI) wird hierbei ermöglicht,aus Erfahrungen zu lernen und sich zu verbessern.
Ein mittlerweile weitverbreitet genutztes, allgegenwärtiges und alltagstaugliches Beispiel hierfür ist die seit 2022 verfügbare Plattform ChatGPT des 2015 gegründeten Unternehmens OpenAI. Hierbei kann der Nutzer mit der KI im Sinne eines Chats in den Dialog treten, Fragen beantwortet bekommen und diverse Aufgaben an das System übertragen. Eine spezielle Methode des maschinellen Lernens ist das Deep Learning (DL), welches vielschichtige („tiefgehende“, daher „deep“) neuronale Netze verwendet, welche unterschiedliche Merkmale in den zugeführten Daten verarbeiten und erkennen. Deep Learning kann insbesondere bei großen Mengen unstrukturierter Daten (z.B. Bilder, Ton und Texte) besonders effektiv seine Aufgabe erfüllen.1
Wo steht KI nun im medizinischen, speziell urologischen Kontext?
In jüngster Zeit hat KI einen explosionsartigen Anstieg an Investitionen und Anwendungen in der modernen Medizin erlebt. Hierzu findet man insbesondere im letzten Jahrzehnt ein exponentielles Wachstum wissenschaftlicher Veröffentlichungen, allein im Kontext zur Urolithiasis.2 Die Unmengen an Daten, welche aus einer elektronischen Patientenakte erhoben werden, können beispielsweise für computergestützte Vorhersagen genutzt werden und somit zu einer Optimierung der Patientenversorgung beitragen.
Augmented Reality (AR) mit KI-gestützten Bildüberlagerungen wird bereits sowohl in der Roboterchirurgie als auch in der Patientenaufklärung und Lehre in modernen Zentren eingesetzt. So existieren heutzutage Programmanwendungen für Virtual-Reality-Brillen, welche in der Aufklärung des Patienten in Bezug auf seine Erkrankung und Therapie unterstützend eingesetzt werden können.
Zum modernen Patient:innengespräch gehört in den letzten Jahren auch zunehmend die Auseinandersetzung mit „Dr. Google“. So stieg europaweit der Anteil an Patient:innen, welche die weltbekannte Suchmaschine zum medizinischen Informationsgewinn zwischen 2011 und 2021 nutzten.3 ChatBots mit künstlicher Intelligenz können hierbei in Zukunft deutlich sinnvoller als eine Suchmaschine bei der urologischen Versorgung unterstützen. Der Hauptvorteil liegt dabei in der individuellen, selektierten und zeitnahen medizinischen Beratung, wobei Symptome priorisiert werden können und Ratschläge über die Behandlungsmöglichkeiten gegeben werden können.4
Auch zur ärztlichen Entscheidungsfindung werden zunehmend Algorithmen auf Basis künstlicher Intelligenz bereitgestellt. Die Steindiagnostik und -therapie sind schon lange für den Gebrauch modernster Technologien bekannt. Das zunehmende Interesse der urologischen Gesellschaft an künstlicher Intelligenz spiegelt sich auch in den wissenschaftlichen Beiträgen des diesjährigen EAU 2024 wider. So analysierte eine Beitragsgruppe italienischer Forschender um Guercio et al. die Qualität und Angemessenheit der Antworten zum Steinmanagement durch ChatGPT anhand der EAU-Guidelines. Hierzu wurden 93 Fragen entsprechend den Empfehlungen der Urolithiasis-Leitlinie vorbereitet und systematisch von ChatGPT beantwortet. Zwei Expert:innen auf dem Gebiet bewerteten die Antworten anschließend unabhängig voneinander jeweils auf einer Skala von 1–4 (1: „completely correct“ – 4: „completely incorrect“), wobei 85% der Fragen zufriedenstellend mit 1 und die übrigen 15% mit 2 („correct but inadequate“) bewertet wurden. Die Plattform ChatGPT hat also bereits jetzt eine sehr gute Quote, wenn es darum geht, Fragen zum Steinmanagement anhand der Empfehlungen der EAU-Leitlinie zu beantworten. Die Autoren führten an, dass weitere Forschung zur Performance von ChatGPT nach entsprechendem Training der KI durchgeführt werden sollte.5
Ein weiteres Beispiel für den sinnvollen Einsatz von KI konnte eine mehrzentrische Fall-Kontroll-Studie zeigen. Diese erstellte ein Machine-Learning(ML)-Modell und verglich Fälle von postoperativen Uroseptitiden nach URS, welche intensivmedizinisch behandelt werden mussten (GruppeA), mit Patienten ohne Sepsiskomplikation nach URS („matched pair“, Gruppe B). Das ML-Modell konnte anschließend ein Sepsisrisiko in 82% der Fälle korrekt vorhersagen (Gruppe A). In 80% der Fälle konnte ein niedriges Sepsisrisiko in der Kontrollgruppe B vorhergesagt werden, wodurch eine Unterscheidung in Hoch- und Niedrigrisikogruppen möglich wurde. Das Modell nutzte hierfür mitunter Parameter wie Alter, Steinlokalisation und -menge, Geschlecht, OP-Dauer, Steinfreiheit, Vorerkrankungen oder notwendige Harnleiterschienung, um eine prognostische Aussage treffen zu können.6 Eine weiteres Review konnte zeigen, dass Machine-Learning-Modelle im Vergleich zur konventionellen logistischen Regressionsanalyse aufgrund ihrer variableren und anpassungsfähigeren Leistung überlegen sein können.7
Ein weiteres Outcome Prediction Tool auf Basis von ML zur Vorhersage von notwendigen Post-PCNL-Transfusionen sowie Post-PCNL-Infektionen steht bereits seit 2022 im Internet zur öffentlichen Verfügung. ML-Modelle wie dieses können den behandelnden Ärzt:innen zur individuellen Risikostratifizierung in der präoperativen Eingriffsplanung dienen.8
Auch im Bereich der Radiomics, also der Analyse von quantitativen Bildmerkmalen in medizinischen Bilddatenbanken, könnte künstliche Intelligenz bald zukunftstauglich in der Patientenversorgung eingesetzt werden. So existieren bereits Systeme zur Steinfrüherkennung mit Feststellung mutmaßlicher Steinkompositionen9 oder Modelle zur Steindetektion und Unterscheidung von Phlebolithen in hochauflösenden CT-Scans.10 Gerade in der Steintherapie können die Erfolgsraten je nach gewählter Therapieform variieren, sodass mitunter Reinterventionen notwendig werden. Aminsharifi et al. konnten beispielweise Steinfreiheitsraten nach PCNL mit einer Genauigkeit von 82,9% und die Notwendigkeit einer Re-PCNL mit einer Genauigkeit von 97,7% durch den Nutzen von künstlicher Intelligenz vorhersagen.11 Potenzielle weitere künftige Anwendungsbeispiele für die synergistische Nutzung von KI und Radiomics sind z.B. die Vorhersage des Erfolgs einer spontanen Steinpassage mittels MedicalExpulsiveTherapy (MET) oder die Vorhersage der Steinbelastung, welche sich auf die RIRS/PCNL-Steinfreiheitsrate auswirken könnte.12
Was sind die Limitationen des Einsatzes von KI in der Urologie?
Die Genauigkeit von z.B. Chatbot-Diagnosen und deren Empfehlungen kann durch technische Einschränkungen (Systemfehler und -mängel) beeinträchtigt werden. Die hieraus resultierenden etwaigen Ungenauigkeiten fallen dann zulasten der Patient:innengesundheit. Im Zeitalter der zunehmenden Absicherung des Datenschutzes muss auch hier eine adäquate Patient:innensicherheit gewährleistet werden. Dennoch scheint das Potenzial hinter künstlicher Intelligenz in der Urologie noch längst nicht ausgeschöpft, um die medizinische Versorgung und Effizienz weiter zu verbessern. Die Entwicklung von Chatbots kann hier ggf. die erste Hürde im Kontakt mit modernen Technologien sowohl bei Patient:innen als auch Ärzt:innen durch ihre Benutzerfreundlichkeit überwinden und eine weitere Auseinandersetzung mit dem Thema künstlicher Intelligenz fördern.
Literatur:
1 Hameed BMZ et al.: J Clin Med 2021; 10(9); 1864 2 Nedbal C et al.: J Endourol 2023; doi: 10.1089/end.2023.0263. Epub ahead of print. PMID: 37885228 3 https://www.statista.com/chart/8535/doctor-google-will-see-you-now/ 4 Talyshinskii A et al.: Curr Urol Rep 2024; 25(1): 9-18 5 Guercio A et al.: Eur Urol 2024; 85(Suppl 1): S785-S786 6 Pietropaolo A et al.: J Clin Med 2021; 10(17): 3888 7 Song X et al.: Int J Med Inform 2021; 151: 104484 8 https://endourology.shinyapps.io/PCNL_Prediction_tool/ 9 Kazemi Y, Mirroshandel SA:Artif Intell Med 2018; 84: 117-26 10 Längkvist M et al.: Comput Biol Med 2018; 97: 153-60 11 Aminsharifi A et al.: J Endourol 2017; 31(5): 461-7 12 Lim EJ et al.: J Clin Med 2022; 11(17): 5151
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