Individuelle Therapieentscheidungen im jeweiligen Stadium
Bericht:
Mag. Dr. Anita Schreiberhuber
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Basis für die Diskussion diverser potenzieller Therapiestrategien für das Prostatakarzinom (PCa) im jeweiligen Setting bildete der von Dr. Pawel Rajwa, Medical University of Silesia in Katowice, Polen, präsentierte Fall eines Patienten mit initialer Diagnose eines lokalisierten Tumors mit intermediärem Risiko (IR), der sich im Verlauf zum metastasierten kastrationsresistenten PCa (mCRPC) entwickelte. Der Fall zeigt, dass mehrere Optionen valide sind und eine individuelle Vorgehensweise erforderlich ist.
PCa cN0M0 IR
Ein 67-jähriger Patient (Nichtraucher, kontrollierte Hypertonie als einzige Komorbidität) wies bei der Erstvorstellung Anfang 2016 einen PSA(Prostata-spezifisches Antigen)-Spiegel von 9ng/ml auf. In der daraufhin durchgeführten MRT-Untersuchung wurde ein PI-RADS(Prostate Imaging Reporting and Data System)-Score von 5 in der peripheren Zone festgestellt. In der histologischen Aufarbeitung des MRT-gelenkten transperineal entnommenen Biopsats wurde Folgendes nachgewiesen:
-
GS (Gleason Score) 7 (3+4), ISUP (International Society of Urological Pathology) GG (Gleason Grade Group) 2 in 2 von 4 Proben (Zielläsion)
-
GS 6 (3+3), ISUP GG 1 in 2 von 10 Proben (systematische Biopsie, rechter Lappen)
Aufgrund dessen, dass keine Metastasen und kein Lymphknoten(LN)-Befall vorhanden waren, wurde daher in Zusammenschau der Ergebnisse aus der Bildgebung und Histopathologie ein Prostatakarzinom im Stadium cN0M0 mit IR diagnostiziert. Dem Patienten war der Erhalt der sexuellen Funktion und der Kontinenz ein besonderes Anliegen.
Beim anschließenden Voting sprachen sich 71% des Auditoriums für eine radikale Prostatektomie (RP) aus, 10% hätten eine Radiotherapie (RT) und <10% eine fokale Therapie (FT) durchgeführt. Immerhin 15% voteten für eine „active surveillance“ (AS). Dr. Nicolai Hübner, MedUni Wien, referierte pro FT in Form eines HIFU („high-intensity focused ultrasound“), die das Ziel der Krebskontrolle bei gleichzeitigem maximalem Funktionserhalt hat. Damit könnte auch dem Patientenwunsch Rechnung getragen werden. Was die Langzeitkontrolle betrifft, zeigen die 15-Jahres-Daten der Studie ProtecT1 zum Vergleich von RP vs. Radiotherapie (RT) vs. AS, dass initial die Outcomes vergleichbar sind, langfristig in der AS-Gruppe jedoch die höchste Progressionsrate verzeichnet worden ist (25,9 vs. 10,5 [RP] vs. 11,0% [RT]).1
„Im Gegensatz zur ProtecT-Studie haben wir inzwischen den Vorteil, dass wir mittels MRT über eine zuverlässige Bildgebung verfügen. Damit können wir die kanzerösen Läsionen akkurat bestimmen, zielgerichtet MRT-gelenkt eine FT vornehmen und die Outcomes maximieren. Aus einer Vielzahl an Daten geht hervor, dass ein Kontinenzerhalt bei bis zu 100% der Patienten, ein Erektionserhalt bei bis zu 90% gewährleistet ist“, so Hübner.
Bei der Analyse der Outcomes einer prospektiven Studie zu PCa mit IM (ISUP GG 2 + 3) wurde nachgewiesen, dass nur sechs Patienten aufgrund von High-Risk(HR)-Features nicht für eine FT infrage gekommen wären. Die 2-Jahres-Rezidivrate lag bei 40%.2 „Bei allen anderen Patienten kann erneut eine FT durchgeführt werden. Wir werden noch Daten generieren, um HR-Patienten, die für eine primäre FT nicht geeignet sind, anhand von weiteren Risikofaktoren noch besser zu identifizieren“, sagte Hübner.
Erstrezidiv August 2017
Dem Wunsch des Patienten nach Kontinenz- und Potenzerhalt wurde nachgekommen, indem im März 2016 eine FT vorgenommen wurde. Im weiteren Verlauf (Juni 2016 bis August 2017) wurde erneut ein kontinuierlicher Anstieg des PSA-Spiegels von 0,49 auf 2,48ng/ml festgestellt. Die PSA-Verdoppelungszeit lag bei etwa sechs Monaten. In der 18F-Cholin-PET/CT-Bildgebung wurde festgestellt, dass der Patient eine linksseitig lokalisierte Läsion entwickelt (SUVmax 4,2, 22x15mm) hatte, weiterhin Stadium cN0M0, was mittels MRT bestätigt wurde.
Erneut wurden eine systematische und eine zielgerichtete Biopsie durchgeführt: Eine rechtsseitig entnommene Probe wurde als GS 6 (3+3), fünf linksseitig entnommene Proben wurden als GS 9 (4+5) eingestuft.
Dr. Kristian Krpina, Clinical Hospital Center Rijeka, Kroatien, konnte mit seinem Vortrag pro Salvage-RP (SRP) offenbar so gut überzeugen, dass danach 82% des Publikums für diese Option stimmten (zuvor waren es 61% gewesen). Krpina präsentierte unter anderem die bislang größte Studie zur roboterassistierten SRP nach FT. Aus dieser geht hervor, dass die Ergebnisse betreffend Kontinenzerhalt vergleichbar gut sind wie jene von initial mit einer RP behandelten Patienten. Nur die zwei folgenden wurden als signifikante Risikofaktoren für ein biochemisches Rezidiv identifiziert: In-Field-Rezidivierung (p=0,03) und Stadium T3b (p=0,008).3
PSA-Persistenz nach SRP + Lymphknotendissektion
Der Patient wurde im Oktober 2017 einer SRP inklusive einer pelvinen Lymphknotendissektion zugeführt, das PCa wurde histopathologisch als GS 8 (4 +4), pT3a, pN0, R0 beurteilt, womit nun ein HR-PCa vorlag. Die SRP verlief – bis auf eine milde Inkontinenz post SRP – ohne Komplikationen. Der erste, acht Wochen post SRP gemessene PSA-Wert betrug jedoch 0,31ng/ml. Beim im Jänner 2018 durchgeführten PSA-PET wurden drei PSMA(prostataspezifisches Membranantigen)-exprimierende Lymphknoten identifiziert, was die Frage nach der weiteren Therapiestrategie aufwarf.
Als lokale Therapien konnten nun eine Salvage-RT oder eine radiogesteuerte Salvage-Lymphadenektomie zur Anwendung kommen. Da sich die Frage stellte, ob es sich bereits jetzt oder vermutlich bald um eine systemische Erkrankung handelt, sprach sich Dr. Johannes Franke, MedUni Wien, für die Initiierung einer ADT (Andogendeprivationstherapie) plus ARTA („androgen receptor-targeted agent“) aus. Er bezog sich dabei auf die Phase-III-Studie EMBARK,4 in der Enzalutamid (Enza) + ADT vs. Enza-Monotherapie (Mono) vs. ADT-Mono bei Patienten mit hohem Risiko für ein biochemisches Rezidiv untersucht worden war. Sowohl Enza + ADT als auch Enza-Mono waren der alleinigen ADT im primären Endpunkt, dem metastasenfreien Überleben, signifikant überlegen (5-Jahres-Ergebnisse: 87,3 vs. 71,4% [HR: 0,42; p<0,005] bzw. 80,0 vs. 71,4% [HR: 0,63; p=0,005]).4
PSA-Anstieg trotz SRP
Daraufhin wurde eine umfassende Salvage-Lymphadenektomie vorgenommen: Von den 46 entnommenen Lymphknoten waren zwei aus dem Iliakalbereich positiv, es wurde keine extranoduläre Ausbreitung nachgewiesen.
Von 2018 bis 2020 lag der PSA-Wert <0,1ng/ml. 2020 stieg er erneut auf 0,15 und weiter auf 0,4ng/ml an. Bei dem im April 2020 durchgeführten PSA-PET wurden singuläre metachrone Knochenmetastasen nachgewiesen.
„Da es sich um fraktionierte Strahlung handelt, können bei der metastasengerichteten RT (MDT) läsionsfokussiert viel höhere Dosen als bei einer primären RT zur Anwendung kommen“, hob Marcin Miszczyk, MedUni Wien, einen der Vorteile dieser zielgerichteten ablativen Behandlung hervor. Er präsentierte eine von der Arbeitsgruppe um Univ.-Prof. Dr. Shahrokh Shariat, MedUni Wien, durchgeführte Metaanalyse, in der die Evidenz aus allen prospektiven Studien zu diesem Verfahren subsumiert ist. Daraus geht hervor, dass die MDT sicher, nebenwirkungsarm und effektiv ist: Nach zwei Jahren wird eine Rate an lokalem Therapieversagen von nur 3% verzeichnet. Allerdings haben nach zwei Jahren 50% der Patienten Fernmetastasen entwickelt. Dennoch können bei ADT-naiven Patienten die ADT (und ARTA) und folglich damit assoziierte Nebenwirkungen hinausgezögert werden. Gleichzeitig könnte die MDT im Rahmen einer Therapieintensivierung näher untersucht werden.5
Progression zu einem mCRPC
Eine Testung auf das Vorliegen einer BRCA-Mutation (BRCAm) fiel negativ aus. Es wurde eine ADT+ARTA initiiert. „Meiner Ansicht nach hätte der Patient zusätzlich eine MDT erhalten sollen, denn ich denke, dass die Therapie zukünftig intensivierter erfolgen wird“, merkte Rajwa an. Der PSA-Spiegel lag bei der letzten PSA-Bestimmung an der Universitätsklinik in Katowice weiter bei <0,001ng/ml. Ab 2021 wurde der Patient auswärtig behandelt, aber im Jänner 2024 erneut aufgrund von seit April 2023 kontinuierlich ansteigenden PSA-Werten an der Uniklinik in Katowice vorstellig: Dort wurde ein PSA-Wert von 2,5ng/ml gemessen, sodass nun eine Progression zu einem mCRPC konstatiert werden musste. Beim im Februar durchgeführten PSMA-PET-CT und MRT wurden Lebermetastasen detektiert, deren Vorliegen anschließend bioptisch bestätigt wurde. Mit 78% stimmte die Mehrheit der Zuhörer:innen für die Durchführung einer Chemotherapie mit Docetaxel.
Spannend war der Vortrag pro genetische Testung trotz Abwesenheit einer BRCAm: Zwar wurde bereits im Zuge des Tumorboards betont, dass grundsätzlich bei jedem PCa-Patienten gleich nach Diagnose eine BRCA-Testung durchgeführt werden sollte, um ihn im Fall der Positivität einer Therapie mit einem PARP-Inhibitor zuführen zu können. Die Rationale, auch bei HRR(„homologous repair recombination“)-Negativität einen PARP-Inhibitor + einen ARTA einzusetzen, erklärte Priv.-Doz. DDr. Tamás Fazekas, Semmelweis-Universität, Budapest, und MedUni Wien, folgendermaßen: „Der PARP-Inhibitor inhibiert den AR-Komplex. In der Folge kann der ARTA einen ‚BRCAness‘-Status induzieren und so können der PARP-Inhibitor und der ARTA potenziell einen synergistischen Effekt ausüben.“ Was sagt die Datenlage?
In Study 8 zur Gabe von Abirateron (Abi)+Olaparib vs. Abi+Placebo als Zweitlinie (2L) beim mCRPC wurde ein signifikanter Benefit im primären Endpunkt, dem radiografisch progressionsfreien Überleben (rPFS), bei allen Patienten nachgewiesen, aber auch der rPFS-Benefit unter der Kombination bei HRR(HRR-Wildtyp)-Patienten konnte belegt werden (HR: 0,54).6 Bislang liegen zwei Phase-III-Studien zur Kombination eines PARP-Inhibitors mit einem ARTA in der 1L vor.7,8 In diesen konnte ein signifikanter rPFS-Benefit vs. Kontrollarm in der All-Comer-Population nachgewiesen werden. Angemerkt werden muss, dass keine Biomarkerstratifizierung nach BRCA- bzw. HRR-Status durchgeführt worden ist. „Allerdings hat sich der rPFS-Vorteil nicht in einen Überlebensbenefit übersetzt. Es stellt sich die Frage, inwieweit die rPFS-Verlängerung die erhöhten Toxizitäten und die Kosten rechtfertigt“, gab Fazekas zu bedenken. Fakt ist, dass die PARP-Inhibitoren Olaparib und Talazoparib beide für das mCRPC zugelassen sind.9 Für die Anwendung von PARP-Inhibitor + ARTA speziell in der HRR-negativen Population geben die aktuellen internationalen Guidelines keine klare Empfehlung – dazu sind die Daten nach einem längeren Follow-up-noch ausständig.10
Quelle:
„Prostate Cancer Tumor Board“ am 27. April im Rahmen des CEM24-Meetings (26.–27. April 2024, Wien)
Literatur:
1 Hamdy FC et al.: N Engl J Med 2023; 388: 1547-58 2 Ehdaie B et al.: Lancet 2022; 23: 910-18 3 Marconi L et al.: Eur Urol 2019; 76: 27-30 4 Freedland SJ et al.: N Engl J Med 2023; 389: 1453-65 5 Miszczyk M et al.: Eur Urol 2024; 85: 125-38 6 Carr TH et al.: Cancers (Basel) 2022; doi: 10.3390/cancers13225830 7 Clarke NW et al.: NEJM Evidence 2022: doi: 10.1056/EVIDoa2200043 8 Agarwal N et al.: Lancet 2023; 402: 291-303 9 www.ema.europa.eu/en/ 10 Cornford P et al.: Eur Urol 2024; 86: 148-63
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