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Die Rolle von Compassion für Patient:innen und Behandler:innen

Mitgefühlsbasierte Medizin

Das Thema Mitgefühl hat in den letzten Jahren zunehmend mehr Aufmerksamkeit im Bereich der Psychotherapie, aber auch der somatischen Medizin erhalten. Dies bezieht sich sowohl auf die Patient:innenversorgung als auch auf die gesundheitliche Perspektive der behandelnden Fachleute.1

Medizinisches Fachpersonal ist durch seinen emotional beanspruchenden Arbeitskontext in besonderem Maße gefährdet, an stressbedingten Problemen und unter emotionaler Erschöpfung zu leiden.2 Unter dem Begriff „compassion fatigue“ wird in diesem Kontext das Phänomen beschrieben, dass es vielen Mediziner:innen bzw. Therapeut:innen bei Überlastung zunehmend schwerfällt, ihren Patient:innen mit Mitgefühl, Güte und Wohlwollen zu begegnen, was sich negativ auf die Arzt-Patient-Beziehung auswirkt, in der Folge zu vermehrter Selbstkritik, Scham- und Schulderleben aufseiten der Behandler:innen führen kann und parallel mit einer geringeren Adhärenz der Patient:innen und schlechteren Behandlungsverläufen einhergehen kann. Diese Dynamik lässt sich häufig als Teufelskreis beschreiben.3,4

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Abb.: Vielen Mediziner:innen bzw. Therapeut:innen fällt es bei Überlastung zunehmend schwer, ihren Patient:innen mit Mitgefühl, Güte und Wohlwollen zu begegnen

Patient:innen, die unter starkem Schamerleben und Selbstkritik leiden, haben häufiger Schwierigkeiten in der Krankheitsakzeptanz und mit selbstfürsorglichem und konstruktivem Verhalten. Häufig gehen damit starker sozialer Rückzug und Vermeidungsverhalten einher. In der Dermatologie zeigt sich immer wieder, dass Hauterkrankungen mit starken Einschränkungen in der Lebensqualität und komorbiden psychischen Störungen verbunden sind. So werden in vielen Studien hohe Raten von psychischen Komorbiditäten berichtet: 30–40%.5 Insbesondere depressive Erkrankungen und Angsterkrankungen treten hier besonders häufig auf. Dabei kann man von einer gegenseitigen, bidirektionalen Beeinflussung ausgehen: Der Hautzustand nimmt Einfluss auf die Psyche und umgekehrt.6 Umso dramatischer scheint es, dass psychische Symptome bei Hauterkrankungen noch immer oft vernachlässigt werden.7 Betroffene von chronischen Hauterkrankungen beschreiben häufig auch Erfahrungen mit Stigmatisierung durch andere Menschen sowie Gefühle von Isolation und sozialer Unverbundenheit. Die damit einhergehenden Gefühle von Scham und Schuld wie auch dysfunktionale entwertende Selbstkritik sind dabei zentrale Merkmale des emotionalen Erlebens der Betroffenen.

Relevanz für beide Seiten

Bei Fachpersonal kann sich „compassion fatigue“ ebenfalls in einem Gefühl zeigen – dem Gefühl, sich nicht mehr mit ihren Patient:innen verbunden zu fühlen und die Zusammenarbeit mit ihnen immer mehr als Belastung zu erleben. Psychotherapeutische Ansätze, die sich besonders bei Selbstkritik und Schamerleben bewährt haben, setzen an der gezielten Förderung von Mitgefühl für sich und andere an.8 Dabei versteht man unter Mitgefühl die Sensibilität für Leiden bei sich selbst und anderen und die Motivation/das Commitment, dieses zu lindern und zu verhindern.

Zum Nutzen der Patienten

Insgesamt haben sich verschiedene therapeutische Äste entwickelt, u.a. die „compassion-focused therapy“, der Ansatz der „mindful self-compassion“ oder der „Mindfulness-based compassionate living“-Ansatz. Eine besondere therapeutische Bedeutung hat die „compassion-focused therapy“.8 Hier werden u.a. auf Basis achtsamkeitsorientierter Konzepte und eines zugrunde liegenden evolutionspsychologischen Theoriefundaments therapeutische Bausteine zur gezielten Psychoedukation zu Mitgefühl und Förderung von Mitgefühl eingesetzt. Dabei kommen unter anderem Techniken zur gezielten Beruhigung des Nervensystems (z.B. „soothing rhythm breathing“), Imaginationsübungen (z.B. „mitfühlender Begleiter“), das Schreiben von mitfühlenden Briefen und die Arbeit mit verschiedenen Selbstanteilen (z.B. „innerer Kritiker“ vs. „mitfühlendes Selbst“) zum Einsatz. Diese Ansätze lassen sich auch gut mit Meditationselementen aus dem Bereich der „Metta-Meditationen“ bzw. „loving-kindness meditations“ ergänzen. Besonders die Förderung von Selbst-Mitgefühl erscheint hier sehr vielversprechend. So finden sich bei Patient:innen mit hohem Selbst-Mitgefühl u.a. mehr positiver Affekt und eine adaptivere Herzratenvariabilität, eine reduzierte Cortisolausschüttung bei Stress, verbesserte Emotionsregulationsstrategien und Krankheitsakzeptanz sowie ein generell günstigeres Gesundheitsverhalten. Daher bietet die Integration von mitgefühlsbasierten Interventionen in der Medizin eine vielversprechende Option, um Behandlungsverläufe gerade bei chronisch erkrankten Patient:innen günstig beeinflussen zu können.

Auch Fachpersonal selbst profitiert

Ähnlich bietet auch die Förderung von Selbstfürsorge und Mitgefühl für Behandler:innen die Chance, sich in einem extrem beanspruchenden Arbeitskontext zu unterstützen und so einen wichtigen protektiven Faktor bzgl. psychischer Verausgabung und „compassion fatigue“ zu kultivieren. Um mehr Mitgefühl jedoch effektiv in die medizinische Praxis zu integrieren, sind verschiedene Ansätze erforderlich.

Tipps für Klinik und Praxis:
  • Schulung des medizinischen Personals: Ärzte, Pflegekräfte und andere Healthcare Professionals sollten gezielt in mitgefühlsbasierten Interventionen geschult werden, um einerseits eine bessere Patientenbetreuung zu gewährleisten und andererseits selbst durch verminderte Scham, Schuld und Selbstkritik zu einer verbesserten mentalen Gesundheit zu kommen. Hier wären eine Integration in die universitäre Lehre sowie die Schaffung von kontinuierlichen Weiterbildungs- und Supervisionsangeboten sinnvoll.

  • Integration von psychosozialen, psychotherapeutischen Angeboten: Psychosoziale Behandlungsansätze sollten nahtlos in die medizinische Versorgung integriert werden, um die emotionalen Bedürfnisse der Patient:innen zu berücksichtigen. Psychodermatologische Schulungen und Angebote sowie eine enge Verzahnung mit psychotherapeutischen, psychiatrischen Behandler:innen sollten dringend ausgebaut werden.

Zusammenfassend lässt sich sagen, dass mitgefühlsbasierte Medizin eine wichtige Rolle in der modernen Gesundheitsversorgung spielt. Die wissenschaftliche Forschung hat gezeigt, dass die Förderung von Mitgefühl positive Auswirkungen auf Patient:innen, Angehörige und medizinisches Personal hat. Die Integration von Mitgefühl in die medizinische Praxis erfordert Schulungen und enge interdisziplinäre Vernetzung. Hier eröffnen sich vielversprechende Ansätze für eine insgesamt verbesserte Gesundheitsversorgung und Patient:innenzufriedenheit, aber auch für das behandelnde Fachpersonal selbst.

1 Amutio-Kareaga A et al.: Improving communication between physicians and their patients through mindfulness and compassion-based strategies: a narrative review. J Clin Med 2017; 6(1): 33 2 Raab K: Mindfulness, self-compassion, and empathy among health care professionals: a review of the literature. J Health Care Chaplain 2014; 20(3): 95-108 3 Kelm Z et al.: Interventions to cultivate physician empathy: a systematic review. BMC Med Educ 2014; 14:219 4 Lelorian S et al.: A systematic review of the associations between empathy measures and patient outcomes in cancer care. Psychooncology 2012; 21(12): 1255-64 5 Gupta MA et al.: Suicidal behaviors in the dermatology patient. Clin Dermatol 2017; 35(3): 302-11 6 Kellett S, Gilbert P: Acne: a biopsychosocial and evolutionary perspective with a focus on shame. Br J Health Psychol 2001; 6(Pt1): 1-24 7 Fink-Lamotte J, Stierle C: Scham und Stigmatisierung bei Hauterkrankungen. hautnah dermatologie 2022; 22: 44-8 8 Stierle C: Compassion Focused Therapy in der Praxis. Beltz 2022

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