
SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Analoga: Gamechanger im Diabetes-Management
Unser Gesprächspartner:
Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik
1. Medizinische Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie
Klinik Landstraße Wien
E-Mail: bernhard.ludvik@gesundheitsverbund.at
Das Interview führte Reno Barth
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Diabetes mellitus ist ein wichtiger Risikofaktor für kardiovaskuläre und kardiale Erkrankungen. Seit wenigen Jahren stehen Antidiabetika mit nachgewiesenem kardiovaskulärem Benefit zur Verfügung. Wie sich dadurch das Diabetes-Management verändert hat, besprechen wir mit Prim. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Ludvik, Leiter der 1. Medizinischen Abteilung mit Diabetologie, Endokrinologie und Nephrologie an der Klinik Landstraße in Wien.
Herr Prof. Ludvik, als Sie begannen, sich mit Diabetologie zu beschäftigen, was wusste man damals über die Zusammenhänge zwischen Diabetes und Herzerkrankungen?
B. Ludvik: Dass Diabetes das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall stark erhöht, war damals bereits seit Langem bekannt. Die Auswirkungen des Diabetes waren zu dieser Zeit noch weit dramatischer, als das heute der Fall ist. Man ging davon aus, dass das Risiko von Herzinfarkt und Schlaganfall um das Vierfache erhöht ist und dass Diabetes die Lebenserwartung um 12 Jahre verkürzt. Ende der 1980er-Jahre gab es Insulin, Sulfonylharnstoffe und Metformin, später kamen Acarbose sowie Glitazone. Die erste Studie, die zeigte, dass wir einen kardioprotektiven Effekt sowie eine Reduktion der Mortalität erzielen, war UKPDS mit Metformin in einem adipösen Kollektiv mit Typ-2-Diabetes. Mit Pioglitazon wurde in der PROactive-Studie nur der kombinierte sekundäre Endpunkt aus Gesamtmortalität, Myokardinfarkt und Schlaganfall signifikant reduziert, während der sehr ambitionierte primäre Endpunkt, der sämtliche Ereignisse in allen Gefäßen inkludierte, nicht aufging. Das war der Stand für viele Jahre. In dieser Zeit wurde allerdings die Bedeutung der Lipidtherapie für die Prognose erkannt.
Wenn bezüglich der kardiovaskulären Risikoreduktion ohnedies nicht viel zu holen war, was waren die Therapieziele?
B. Ludvik: Sehr wichtig war es schon zu dieser Zeit, mikrovaskuläre Komplikationen zu verhindern. Damals sind viele Menschen mit Diabetes erblindet oder mussten an die Dialyse. Das Verhindern einer diabetischen Nephropathie war ein sehr wichtiges Ziel. Man wusste aus den Daten von UKPDS, dass die gute Diabeteseinstellung verbunden mit einer guten Blutdruckkontrolle dabei erfolgreich ist.
Wie kam es zu den großen Endpunktstudien, mit denen die kardioprotektive Wirkung der SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Analoga gezeigt werden konnte?
B. Ludvik: Es gab bei Rosiglitazon, einem Glitazon, das heute nicht mehr verwendet wird, Hinweise auf vermehrte Herzinfarkte. Daher forderte die amerikanische FDA für jede neue Substanz im Management des Typ-2-Diabetes eine große kardiovaskuläre Outcome-Studie, CVOT genannt. Diese zeigten dann wirklich durchschlagende Wirkungen zunächst für die SGLT2-Inhibitoren und später auch für die GLP-1-Analoga.
Nicht nur bei Rosiglitazon gab es ein Signal für vermehre kardiovaskuläre Ereignisse, sondern generell für die intensivierte Blutzuckerkontrolle …
B. Ludvik: Es waren die Daten der ACCORD-Studie, die nahelegten, dass man mit einer zu starken Einstellung des Blutzuckers das Risiko möglicherweise erhöht. Man geht davon aus, dass die strengere Kontrolle zu mehr Hypoglykämien führt. Die Blutzuckersenkung wurde in dieser Studie mit Sulfonylharnstoffen und Insulin erreicht, beides Substanzen, die mit einem erhöhten Hypoglykämierisiko verbunden sind. In ACCORD wurden sie kombiniert, womit das Risiko weiter steigt. Es gibt Auswertungen der Studien, die zeigen, dass nach einer schweren Hypoglykämie das kardiovaskuläre Risiko stark erhöht war. Außerdem gab es für die eingesetzten Substanzen keine Endpunktdaten hinsichtlich des kardiovaskulären Risikos. Man kann dieses also nicht mehr auf die heutige Praxis umlegen. Die Aussage „Zu gute Blutzuckerkontrolle ist schädlich“ ist bei den heute verfügbaren Methoden falsch. Heute gilt: Stringente glykämische Kontrolle ist viel, viel besser. Das Ziel ist heute die Normoglykämie. Früher konnte man physiologische Blutzuckerwerte mit den damals verfügbaren Substanzen nicht gefahrlos erreichen – Stichwort Insulin –, heute ist das möglich. Man sollte die Medikamente nicht reduzieren, wenn man einen normoglykämischen Zustand erreicht hat. Unser Ziel ist bei den meisten Menschen ein HbA1c von unter 6,5%, besser im normoglykämischen Bereich, also unter 5,7%.
Man hört gelegentlich von einem HbA1c von 5%?
B. Ludvik: Man sollte die Grenzen nicht artifiziell nach unten verschieben. Ab einem HbA1c von 5,7% besteht ein Prädiabetes, ab 6,5% ein manifester Diabetes. Ab einem gewissen Alter haben die meisten gesunden Menschen ein HbA1c über 5%. Das Risiko nimmt zwar bereits im normoglykämischen Bereich linear zu, aber auf sehr niedrigem Niveau. Der Benefit ist nicht groß genug, um eine Therapie zu rechtfertigen.
Für welche Substanzgruppen wurde ein kardiovaskulärer Benefit gezeigt?
B. Ludvik: Für die zuvor genannten SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Analoga. Für Metformin bei Ersteinstellung sowie bei adipösen Patient:innen und für Pioglitazon wurde der kardiovaskuläre Vorteil im sekundären Endpunkt erreicht. Insulin und die DPP-4-Inhibitoren sind kardiovaskulär sicher. SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Analoga sowie vielleicht auch in Zukunft der duale Agonist Tirzepatid sind in dieser Hinsicht jedenfalls die überlegenen Optionen.
Wie beginnt man die Therapie des Typ-2-Diabetes? Man hat Metformin …
B. Ludvik: … nur wenn keine kardiovaskuläre Erkrankung vorliegt oder ein hohes kardiovaskuläres Risikoprofil. Sobald Letzteres vorliegt, besteht die Evidenz für eine Risikoreduktion durch SGLT2-Inhibitoren und GLP-1-Analoga für den Einstieg. Bei Nieren- oder Herzinsuffizienz steigt man mit einem SGLT2-Hemmer in die Therapie ein. Bei Menschen mit hohem kardiovaskulärem Risiko nimmt man GLP-1-Rezeptor-Agonisten, wenn Adipositas, NASH oder Insulinresistenz im Vordergrund stehen. Zur Erreichung der glykämischen Ziele strebt man ehestmöglich eine Kombination an. Metformin ist gut geeignet, um im Rahmen einer Kombinationstherapie den Blutzucker in den Zielbereich zu bringen. First Line ist es nur noch bei Patient:innen ohne Vorerkrankungen und ohne hohes kardiovaskuläres Risiko.
Geht sich das bei einer Monotherapie mit einem SGLT2-Inhibitor aus? Es gibt ja keinen großen Effekt auf den Blutzucker.
B. Ludvik: Das kommt darauf an, wo Sie anfangen. Wenn man Diabetes bei einem HbA1c von 6,6 diagnostiziert, wird man mit SGLT2-Inhibitoren ins Ziel kommen. Wenn nicht, muss man kombinieren. Wir versuchen heute, möglichst früh mit der medikamentösen Therapie zu beginnen, um die Progression zu verhindern. So wissen wir zum Beispiel, dass wir durch den Einsatz von Tirzepatid über drei Jahre bei Menschen mit Adipositas und Prädiabetes das Risiko, Diabetes zu entwickeln, um 91% senken.
Was halten Sie von radikalen Lifestyleinterventionen? Also massiver Gewichtsreduktion wie in der DiRECT-Studie?
B. Ludvik: Das Problem ist die Nachhaltigkeit. Es darf nicht wieder zum Gewichtsanstieg kommen. D.h., man muss das letztlich lebenslang durchhalten. Bei Crash-Diäten ist auch darauf zu achten, dass die Nährstoffzufuhr adäquat ist. Das funktioniert kurzfristig, aber dann nehmen die Leute wieder zu. Das ist nicht praktikabel und daher halte ich zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht viel davon.
Waren Sie manchmal enttäuscht und haben mehr erwartet?
B. Ludvik: Große Enttäuschungen habe ich in der Betreuung bei Typ-2-Diabetes eigentlich keine erlebt. Im Gegenteil. In den vergangenen Jahren haben sich unglaublich viele Möglichkeiten aufgetan, Diabetes unter Therapie wieder in einen prädiabetischen oder einen normoglykämischen Zustand zu überführen, wenn ich rechtzeitig zu behandeln beginne. Wir haben neue Insuline, wir haben die Möglichkeit der unblutigen Glukosemessung. Ich kann heute einen Menschen mit Adipositas und Diabetesrisiko so behandeln, dass die Diabetesmanifestation um Jahre verzögert wird.
Welche Rolle spielt die nichtinvasive Glukosemessung bei nicht insulinpflichtigen Patient:innen?
B. Ludvik: Man kann sie z.B. kurzfristig im Sinne einer Lebensstilberatung einsetzen, damit Betroffene sehen, wie ihr Blutzucker auf bestimmte Nahrungsmittel oder Bewegung reagiert. Damit kann man eine praktische Umstellung der Lebensführung unterstützen. In einer Welt ohne finanzielle Restriktionen könnte man Risikopersonen frühzeitig erkennen, den Ausbruch von Diabetes verhindern und das kardiovaskuläre Risiko massiv reduzieren.
Früher wurden GLP-1-Analoga in Kombination mit SGLT2-Hemmern nicht erstattet. Hat sich das gebessert?
B. Ludvik: Ja, mittlerweile ist der SGLT2-Inhibitor mit oder ohne Metformin sogar die Voraussetzung für die Erstattung von GLP-1-Analoga. Die Situation wurde deutlich entschärft. Die Verschreibung in der allgemeinmedizinischen Praxis ist aber oft nach wie vor nicht möglich. Ein Problem besteht noch immer bei der Verfügbarkeit wegen Engpässen in der Produktion. D.h., Patient:innen müssen oft warten, bis sie ihr Medikament bekommen. Wir warten auf Tirzepatid als zusätzliche Option – dazu laufen Verhandlungen zur Erstattung. In Großbritannien werden die GLP-1-Analoga problemlos auch bei Adipositas ohne Diabetes bezahlt, weil man weiß, dass das langfristig die Kosten reduziert.
Man kann diese Substanzen nicht so einfach absetzen. Was tut man, wenn Patient:innen diese nicht mehr bekommen?
B. Ludvik: Das ist ein Problem. Man muss auf andere Antidiabetika und unter Umständen auch passager auf Insulin umsteigen. Daher hoffen wir dringend auf eine Verbesserung der Situation.
Was erwarten Sie sich von der näheren Zukunft?
B. Ludvik: Wir erwarten neue Substanzen aus der Gruppe der Inkretinmimetika, wobei sich zeigen muss, ob sie besser sind als beispielsweise Tirzepatid. Es dürfte auch zu einer etwas feineren Differenzierung der Diabetesdiagnosen kommen, sowohl bei Typ 2 als auch bei Typ 1. Es wird an smarten Insulinen gearbeitet, die bei niedrigem Blutzucker die Wirksamkeit verlieren. Und die Technologie wird eine immer größere Rolle spielen. Bei Typ 1 wird der „closed loop“, also die automatisierte Kombination von kontinuierlicher Glukosemessung und Insulinpumpe, wichtiger werden und auch bei Typ 2 werden wir immer mehr Patient:innen mit Sensoren ausstatten können.
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