
Bei ATTR-Amyloidose auf dem Weg zur heilbaren Erkrankung
Unser Gesprächspartner:
Priv.-Doz. Dr. Franz Duca
Medizinische Klinik II
Medizinische Universität Wien
E-Mail: franz.duca@meduniwien.ac.at
Das Interview führte Reno Barth
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Die kardialen Amyloidosen zeigten vor rund zehn Jahren einen schicksalhaften Verlauf ohne therapeutische Optionen. Heute sind sie in der Regel gut beherrschbar und Optimisten sehen die Heilung am Horizont. Wir sprachen mit Priv.-Doz. Dr. Franz Duca von der Medizinischen Klinik II an der MedUni Wien.
Herr Doz. Duca, als Sie begannen, sich mit Amyloidose zu beschäftigen, was war der Stand der Wissenschaft?
F. Duca: Ich bin im Jahr 2014 im Rahmen meiner PhD-Dissertation mit der kardialen Amyloidose in Kontakt gekommen, indem wir in Myokardbiopsien von Patient:innen mit Herzinsuffizienz und erhaltener linksventrikulärer Auswurffraktion Amyloid fanden. Wir wussten zu diesem Zeitpunkt noch nicht, was wir damit anfangen sollten. Zu dieser Zeit wurde eine Arbeit einer spanischen Arbeitsgruppe publiziert, die zu dem Schluss kam, dass Amyloidose bei der HFpEF relativ häufig ist. Prof. Diana Bonderman, die Betreuerin meiner Dissertation, und Prof. Julia Mascherbauer haben die Biopsate in London am dortigen Amyloidosezentrum noch einmal massenspektrometrisch analysieren lassen. Daraufhin haben wir in Wien unser Register aufgebaut und konnten den Patient:innen zumindest eine Diagnose mitteilen. Was die Therapie angeht, hatten wir damals nur supportive Optionen.
Zu den supportiven Therapien gibt es nach wie vor wenig Evidenz, oder?
F. Duca:Prospektive Studien wären notwendig, um zu untersuchen, ob und wie gut die klassischen Herzinsuffizienztherapien bei der kardialen Amyloidose wirken. Das müsste eine „Investigator-initiated“-Studie sein. Wenig wissen wir auch zum Rhythmusmanagement bei Amyloidose. Derzeit findet man für alles, was man machen kann, Argumente dafür und dagegen und es gibt mangels Evidenz kein Richtig und kein Falsch. Es wäre sehr viel prospektive Forschung nötig, um da weiterzukommen. Die gezielte Therapie ist extrem evidenzbasiert, aber zu vielen klinischen Problemen, die einem im Alltag begegnen können, haben wir keine evidenzbasierten Strategien.
Wie gelangte man zu den kausalen Therapien der kardialen Amyloidose?
F. Duca: In meiner ersten Zeit gab es keine Substanzen, die prospektiv getestet worden wären. Es gab Hinweise, dass Grüntee einen positiven Effekt haben könnte, daher verschrieben wir den Patient:innen Grünteekapseln. Recht bald kam aber die Zulassung von Tafamidis für die Transthyretin(ATTR)-Amyloidose. Es war damit die erste Amyloid-spezifische Therapie, wobei die Zulassung anfangs nur für die ATTR-Polyneuropathie erfolgte. Da wir in Österreich aber ein relativ flexibles System des „compassionate use“ haben, konnten wir die Substanz schon früh auch in der Kardiologie einsetzen und viele unserer Patient:innen darauf einstellen. Daher haben wir also schon viel Erfahrung damit. Tafamidis ist ein TTR-Stabilizer, der die Dissoziation des Transthyretins in Monomere und damit letztlich die Aggregation dieser Monomere zu Amyloid verhindert.
Danach kamen das Antisense-Molekül Inotersen und die „small interfering RNA“ Patisiran dazu, die die TTR-Synthese in der Leber hemmen. Wir haben in Österreich rund 25 Patient:innen mit genetischer TTR-Amyloidose, die wir von Tafamidis auf eine dieser Therapien umgestellt haben. Diese Patient:innen hatten alle auch eine Polyneuropathie, was zur Umstellung führte und auch das Zulassungsproblem löste. Und jetzt wird es noch einmal spannend mit Vutrisiran und Acoramidis – auch im Hinblick auf den Preis dieser Therapien. Im Vergleich zu 2014, als wir den Patient:innen lediglich ihre Diagnose mitteilen konnten, haben wir viel erreicht.
Tafamidis ist derzeit das einzige Medikament, das in der Indikation ATTR-Kardiomyopathie zugelassen und in Österreich verfügbar ist. Die Zulassung beruht auf der Phase-III-Studie ATTR-ACT, die für Tafamidis im Vergleich zu Placebo einen signifikanten Überlebensvorteil mit Verbesserung der Lebensqualität zeigte. Vutrisiran ist von der EMA zugelassen – allerdings nur für die ATTRv-Polyneurpathie – und wird in dieser Indikation als Amvuttra vertrieben. Acoramidis ist von der EMA im Februar zugelassen worden.Von Tafamidis wissen wir, dass es effektiv und vor allem auch gut verträglich ist. Letzteres hat in einer älteren und häufig multimorbiden Population große Bedeutung. Es ist eine nebenwirkungsarme Therapie.
Welcher Anteil der Betroffenen leidet unter der genetischen Form?
F. Duca: Wir bieten allen Patient:innen mit Diagnose einer ATTR-Amyloidose eine genetische Testung an – wobei alle das Angebot angenommen haben, weil sich mehr Therapieoptionen bieten, wenn es eine genetische ATTR-Amyloidose ist. Mittlerweile konnten wir bisher an die 50 Patient:innen mit TTR-Genvarianten finden, wobei ca. die Hälfte davon (noch) asymptomatische Genträger:innen sind und die andere Hälfte eine ATTRv oder ATTRv-CM aufweist. Wir sind damit aber klar im Bereich der „orphan diseases“. Diese Erkrankungen wird man in einer normalen kardiologischen Praxis eher nicht sehen, wobei aber auch die Möglichkeit der Unterdiagnose besteht.
Das heißt, die ganz große Mehrheit hat eine „Wild type“-ATTR-Amyloidose?
F. Duca: Ja, das hat auch mit der Alterung der Bevölkerung zu tun. In Autopsiestudien findet man bei 10% verstorbener 70-Jähriger Amyloid im Herzen, bei den 85-Jährigen sind es bereits 25%. Offen ist die Frage, was davon normaler Alterungsprozess ist und wie viele an ATTR-Amyloidose erkranken. Aber es ist auf alle Fälle ein häufiges Phänomen.
Das bringt mich zur Diagnose – wen muss man heute noch biopsieren?
F. Duca: Das Wichtigste für die kardiologische Community ist ein guter Draht zu einer hämatologischen Abteilung. Eine AL-Amyloidose hat eine so schlechte Prognose, dass sie als medizinischer Notfall zu werten ist und eine schnelle Diagnostik und Therapie erfordert. Auf die Biopsie kann man nur verzichten, wenn es keine Hinweise auf freie Leichtketten oder ein Paraprotein im Harn oder im Serum gibt und die Knochenszintigrafie hochpositiv ist. Das trifft auf die meisten Patient:innen zu. Wenn man biopsiert, sollte man das betroffene Organ biopsieren, also bei Kardiomyopathie das Herz. Versucht man stattdessen eine Fettaspiration oder eine tiefe Rektumbiopsie, besteht die Gefahr, wertvolle Zeit zu verlieren.
Warum Knochenszintigrafie?
F. Duca: Bei ATTR-Amyloidose reichert sich der Tracer nicht nur im Skelett, sondern auch im Herzen an. Bei der AL-Amyloidose ist das oft nicht der Fall. Die Auswertung erfolgt nach dem Perugini-Score, der hat eine hohe Spezifität und Sensitivität.
Wenn man die Diagnose einer Leichtketten-Amyloidose hat, was macht man dann?
F. Duca: Die AL-Amyloidose ist artverwandt mit einem multiplen Myelom und zählt zu den Plasmazelldyskrasien, wird also durch Plasmazellen verursacht. In seltenen Fällen tritt sie auch im Verlauf eines B-Zell-Lymphoms auf. Die Therapie ist ähnlich wie beim multiplen Myelom, fällt also in die Hämatoonkologie, und hat das Ziel, durch Eradikation der pathologischen Plasmazellen den Amyloidnachschub zu unterbinden. In Studien werden aktuell Antikörper gegen das Amyloid getestet. Manche Patient:innen erhalten eine Stammzelltransplantation. Die Prognose hängt vom Ansprechen auf die Immuntherapie ab. Bei gutem Ansprechen sehen wir auch Langzeitüberlebende.
Wie viel kann man heute bei der ATTR-Amyloidose erreichen?
F. Duca: Das hängt vom Zeitpunkt der Diagnose ab. Wird die Erkrankung erkannt, wenn noch nicht zu viel Amyloid in den Organen ist, sind die Therapien effektiver und die Prognose ist deutlich besser als bei fortgeschrittener Erkrankung. Persönlich denke ich, dass die ATTR-Amyloidose in zehn Jahren eine heilbare Erkrankung sein wird. Bereits jetzt haben wir in den Studien mit Acoramidis gesehen, dass die Patient:innen unter dieser Therapie eine Lebenserwartung haben, die mit einer gematchten Alterskohorte vergleichbar ist. Nicht nur die Lebenserwartung war vergleichbar, sondern auch die Zahl der Krankenhausaufenthalte, was für die Lebensqualität der Betroffenen extrem wichtig ist. Es gibt wenige Erkrankungen, die wir so gut in den Griff bekommen haben. Aber wir haben das Ende der Fahnenstange noch nicht erreicht und rechnen damit, dass wir in den nächsten Jahren neue Therapien bekommen werden. Z.B. befinden sich Antikörper gegen Amyloid auch für die ATTR-Amyloidose in klinischen Studien.
Wann rechnen Sie mit der Verfügbarkeit von Acoramidis?
F. Duca: Acoramidis sollte 2025 verfügbar sein, es braucht aber noch Verhandlungen mit dem Dachverband die Erstattungbetreffend.
Acoramidis ist ein TTR-Stabilisator. Wenn der so gut wirkt, wozu braucht man Silencer und Antisense-Moleküle?
F. Duca: Wir vermuten, dass nicht alle Patient:innen auf jede Therapie gleich gut ansprechen werden. Letztlich wird es auf eine Individualisierung hinauslaufen, wobei wir die Parameter noch definieren müssen. Bei Tafamidis haben wir die Erfahrung gemacht, dass bei einem Drittel eine Besserung eintritt, ein Drittel stabil bleibt und ein Drittel Progression unter Therapie zeigt. Wenn wir die Substanzen alle verfügbar haben und einsetzen, wird man sehen, welche sich für wen am besten eignet. Bei der Verschreibung wird man sich an den Einschlusskriterien der Zulassungsstudien orientieren. Auch Kombinationstherapien könnten möglich und sinnvoll sein.
Es sind auch Substanzen in Entwicklung, die den Abbau des bereits gebildeten Amyloids fördern sollen.
F. Duca: Diese Substanzen befinden sich in klinischen Studien und ich denke, dass sie einmal der Faktor sein könnten, der die Heilung ermöglicht. Wobei man mit Prognosen vorsichtig sein muss. Beim Morbus Alzheimer hat es leider nicht funktioniert. Ich denke aber, früher oder später wird das der Weg sein. In fünf bis zehn Jahren wird die therapeutische Landschaft bei den Amyloidosen noch einmal ganz anders aussehen. Was wir bislang erreicht haben, zeigt aber, wie gut Wissenschaft funktioniert. Wir sind in zehn Jahren von einer nicht behandelbaren Krankheit mit schlechter Prognose zu einer gut beherrschbaren Modellerkrankung gekommen, die wahrscheinlich einmal heilbar sein wird.
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