Impfungen: Reaktogenität, Nebenwirkung und Koinzidenz
Bericht:
Dr. Norbert Hasenöhrl
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Nebenwirkungen nach Impfungen sind ein auch in der Laienpresse stark rezipiertes, jedoch häufig verzerrt dargestelltes Phänomen. Entscheidend ist eine rationale Nutzen-Risiko-Abwägung, die klar zugunsten der Impfungen gegen Covid-19 ausfällt, erklärte Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi, MedUni Wien.
Keypoints
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Der Begriff „Nebenwirkung“ sollte vielleicht durch den von der WHO präferierten, nichtkausalen Ausdruck „adverse events following immunization“ (AEFI) ersetzt werden.
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Jüngere Personen weisen nach Covid-19-Impfung meist eine höhere Reaktogenität auf als ältere.
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Das Allergie- und Anaphylaxierisiko nach Covid-19-Impfung ist relativ klein und gut handhabbar.
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Das Risiko für venöse Thromboembolien ist bei Covid-19-Impfungen nicht erhöht.
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Eine Nichtimpfung wegen des sehr, sehr kleinen Risikos einer impfungsinduzierten Thrombozytopenie mit Thrombosen (VITT, TTS) ist für keine Altersgruppe eine rationale Entscheidung.
Als Reaktogenität ist das Auslösen von vorübergehenden Reaktionen auf eine Impfung zu bezeichnen, die neben der erwünschten immunologischen Reaktion auftreten“, erklärte Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi, Zentrum für Public Health, MedUni Wien. Dabei ist zwischen lokalen Reaktionen wie Rötung, Schwellung, Schmerzen und Induration an der Einstichstelle und systemischen Reaktionen wie Fieber, grippeähnlichen Symptomen, Müdigkeit, Übelkeit etc. zu unterscheiden.
„Der Begriff der Nebenwirkung ist vielleicht bei Impfungen nicht besonders glücklich gewählt“, fuhr der Experte fort. „Die WHO zieht den Ausdruck ,adverse events following immunization‘, kurz AEFI, vor, weil er im Gegensatz zu ,Nebenwirkung‘ keine Kausalität impliziert“, so Kundi. Alle derzeit zugelassenen Impfstoffe gegen Covid-19 zeigen eine verhältnismäßig hohe Reaktogenität, die lokal zwischen 60 und 88%, systemisch zwischen 59 und 76% liegt. Für alle gilt auch, dass ältere Personen weniger systemische und meist auch weniger lokale Nebenwirkungen erleben als jüngere (<55a).
Bei den mRNA-Impfstoffen treten nach der zweiten Teilimpfung mehr Nebenwirkungen auf als nach der ersten, beim Vektorimpfstoff von AstraZeneca ist es umgekehrt. Häufige systemische Nebenwirkungen sind Müdigkeit, Kopfschmerzen, Myalgien und Fieber, die in der Regel nach spätestens drei Tagen wieder verschwinden. „Die hohe Reaktogenität dieser Impfstoffe ist insofern ein positives Zeichen, als sie ja bedeutet, dass eine suffiziente Immunreaktion stattfindet“, kommentierte Kundi.
AEFI nach Markteinführung
Anfang 2021 waren vor allem anaphylaktische Reaktionen als AEFI ein Thema, das auch in den Medien breite Beachtung fand. Die Inzidenz von Anaphylaxien liegt, wie man inzwischen weiß, für alle zugelassenen Covid-19-Vakzinen zwischen 22 und 24/Million verabreichte Dosen. Aufgrund des zeitlichen Ablaufs ist die kausale Zuordnung in der Regel klar. Weniger klar ist das eigentliche auslösende Agens. Es könnte sich um Polyethylenglykol, Polysorbat 80 oder Trometamol (TRIS) handeln.
„Um mögliche Folgen zu vermeiden, wird daher allgemein für Personen mit allergischer Vorgeschichte eine verlängerte Überwachung von Impflingen für 30 Minuten nach der Impfung empfohlen. Im Grunde kann man, nach aktuellen allergologischen Empfehlungen, alle Patienten mit Allergieanamnese impfen, wenn auch unter erhöhter Vigilanz und Verfügbarkeit von Notfallmaßnahmen. Patienten mit Anaphylaxieanamnese sollten eventuell eine Prämedikation mit einem Antihistaminikum erhalten“, führte Kundi aus. „Ein Ausschlussgrund betreffend eine Zweitimpfung gegen Covid-19 besteht lediglich dann, wenn nach der Erstimpfung eine Anaphylaxie aufgetreten ist. Ist auf die Erstimpfung eine allergische, aber nichtanaphylaktische Reaktion aufgetreten, so sollte eine Nutzen-Risiko-Abwägung erfolgen und der Patient gegebenenfalls an ein Spezialzentrum überwiesen werden.“
Details dazu können in den Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums zur Covid-19-Impfung nachgeschlagen werden.1
Thromboembolische Ereignisse – hier sind die „normalen“ venösen Thromboembolien gemeint; zu VITT siehe auch den Vortrag von Prof. Eichinger-Hasenauer ab Seite 22 – treten nach bisherigen Informationen bei ca. 3–4/100000 Impfdosen auf. „Wenn man das aber mit der Hintergrundinzidenz vergleicht, so sieht man, dass vor allem bei älteren Patienten unter den Covid-19-Impfungen signifikant weniger thromboembolische Ereignisse aufgetreten sind, als zu erwarten gewesen wären. Für Patienten unter 55 Jahren ist das allerdings nicht statistisch signifikant“, erklärte der Experte.
Mit Stand 30. März 2021 gab es weder für den Pfizer/Biontech- noch für den AstraZeneca-Impfstoff ein Signal für die Gesamtheit der VTE und auch nicht für Thrombozytopenien – lediglich für Sinusvenenthrombosen trat beim AstraZeneca-Impfstoff ein Signal auf.
Risikoeinschätzung für die Covid-19-Impfung
„Leider erfolgen persönliche Nutzen-Risiko-Einschätzungen in Bezug auf die Covid-19-Impfung, aber auch auf andere Impfungen oft nach verzerrten Maßstäben, das heißt, das Risiko der Erkrankung wird bagatellisiert, das Risiko der Impfung hingegen übertrieben. Dies führt naturgemäß zu falschen Entscheidungen“, mahnte Kundi. „Wir müssen aber zu einer objektiven Nutzen-Risiko-Einschätzung kommen“, forderte der Experte.
Für eine seltene Nebenwirkung wie VITT müssen Daten aus ganz Europa plus UK herangezogen werden, für das Risiko einer Nichtimpfung sind hingegen die regionalen Daten aus Österreich maßgeblich. Grundsätzlich sind drei Szenarien zu vergleichen:
gar keine Impfung
verzögerte Impfung
Impfung mit einer anderen Vakzine
In Abbildung 1 wird das jeweilige Risiko für verschiedene Altersgruppen für den Fall betrachtet, dass gar keine Impfung gegen Covid-19 erfolgt. Daraus ergibt sich klar, dass im Hinblick auf VITT („HIT-like-Syndrom“, heute auch als TTS – Thrombose-Thrombozytopenie-Syndrom – bezeichnet) eine Nichtimpfung gegen Covid-19 für keine Altersgruppe eine rationale Entscheidung darstellt, wie Kundi betonte.
Abb. 1: Nutzen-Risiko-Abwägung für Nichtimpfung (Quelle: M. Kundi)
Lediglich eine Verschiebung der Impfung um zwei Monate wäre für die Altersgruppe der 18- bis 24-Jährigen, aber nur für diese, rational. „Ein Wechseln auf einen anderen Impfstoff ist auch keine rationale Entscheidung, da wir heute davon ausgehen müssen, dass das VITT-Risiko für alle zugelassenen Impfstoffe ähnlich ist“, so Kundi abschließend.
Quelle:
„Reaktogenität, Nebenwirkung und Koinzidenz“; Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Michael Kundi, Zentrum für Public Health, MedUni Wien, im Rahmen des Giftigen Live-Streams „Impfungen – Reaktogenität und Nebenwirkungen“, 12. April 2021
Literatur:
1 Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz: Covid-19-Impfungen: Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums, Stand 28.4.2021; https://www.sozialministerium.at/dam/jcr: 16b9dd8d-99a4-4ac4-bfa9-73388d219a14/COVID-19-Impfungen__Anwendungsempfehlung_des_Nationalen_Impfgremiums_Version_3.2_(Stand__28.04.2021).pdf; zuletzt aufgerufen am 16.5.2021
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