Covid-19: Wer braucht den 4. Stich?
Bericht: Dr. Norbert Hasenöhrl
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Derzeit scheint die Dynamik der Covid-19-Impfungen in Österreich erlahmt zu sein. Das liegt vielleicht auch ein wenig daran, dass es verwirrende Aussagen darüber gibt, wer sich wann ein viertes Mal impfen lassen sollte. Der Impfexperte Univ.-Prof. Dr. Karl Zwiauer, Krems, gab in einem Giftigen Livestream Auskunft darüber und räumte bei dieser Gelegenheit mit dem einen oder anderen Mythos auf.
Die Bereitschaft, sich derzeit eine vierte Impfung gegen Covid-19 zu holen, ist eher gering“, so Univ.-Prof. Dr. Karl Zwiauer, Karl Landsteiner Privatuniversität für Gesundheitswissenschaften, Krems (der Vortrag, auf den sich dieser Text bezieht, fand am 11. Juli 2022 statt). „Das hat nicht zuletzt mit erheblichen Kommunikationsproblemen und Widersprüchen in der Kommunikation von unterschiedlichen Stellen zu tun“, erklärte der Impfexperte. „So empfiehlt die Steiermark den vierten Stich ab 45 Jahren, Wien sogar ab 12 Jahren“, mahnte Zwiauer. In der Version 10.2. der Anwendungsempfehlungen des Nationalen Impfgremiums vom 1.Juli 2022 wird der vierte Stich übrigens für alle Risikopersonen sowie für Menschen ab 65 Jahren empfohlen. Per 10.August 2022 wurde diese Empfehlung auf alle Menschen ab 60 Jahren ausgeweitet.
„Das Chaos ist aber nicht nur durch schlechte Kommunikation entstanden“, ergänzte der Experte, „sondern wohl auch durch die zugrunde liegende Faktenlage, die nicht ganz einfach ist.“
Omikron gegen Omikron
In den vergangenen zwei Jahren hat es mehrere Wechsel bei der dominierenden Variante von SARS-CoV-2 gegeben. Seit etwa Anfang 2022 dominieren nun verschiedene Omikron-Varianten. „Omikron ist, schon aufgrund seiner Phylogenie, vollkommen anders als die vorherigen SARS-CoV-2-Varianten“, betonte Zwiauer. Das heißt, Omikron beruht weder auf Alpha noch auf Delta, sondern hat sich eigenständig von der ursprünglichen Wuhan-Variante wegentwickelt (Abb. 1).„Omikron hat inzwischen einige Subvarianten entwickelt“, fuhr Zwiauer fort. „Und schon Omikron BA.1 ist von der antigenetischen Distanz her sehr viel weiter von der Wuhan-Variante entfernt als frühere Varianten, wie Alpha, Beta oder Delta. Und noch einmal viel weiter weg sind dann die Omikron-Subvarianten BA.4 und BA.5.“
Dies spiegelt sich in der Tatsache wider, dass diese Omikron-Varianten ein wesentlich höheres Potenzial für einen Immunescape aufweisen.
Insgesamt zeigt Omikron im Vergleich zum ursprünglichen SARS-CoV-2 mehr als 50 Mutationen, Deletionen und Insertionen, davon mehr als 30 allein im Spike-Protein, 15 in der Rezeptorbindungsdomäne und mindestens vier, die konkret der Immunevasion dienen.
Auch die Fitness des Virus hat, insbesondere mit BA.4/5, erheblich zugenommen. Omikron weist im Vergleich zu Delta also eine erheblich schnellere Verbreitung in der Bevölkerung, eine leichtere Übertragbarkeit und eine höhere Infektiosität auf. Hingegen kommt es zu keiner höheren Viruslast bei Infizierten und die Dauer der Virusausscheidung ist geringer.
„Die höhere Infektiosität von Omikron hat sich in Österreich wie in vielen anderen Ländern gezeigt – wir hatten ja schon mehrere Gipfel der Omikronwelle seit Jahresanfang“, bemerkte Zwiauer.
Wirksamkeit der derzeitigen Impfungen gegen Omikron
„Im vorigen Jahr haben wir noch geglaubt, dass die Covid-19-Impfungen der Gamechanger sein werden, nicht nur, was schwere Verläufe angeht, sondern vor allem auch im Hinblick auf die Infektiosität. Letzteres hat sich ja leider nicht erfüllt, wie wir heute wissen“, resümierte der Experte. Der Immunescape durch Omikron, schon durch BA.1/2, aber noch mehr durch BA.4/5, ist so stark, dass die Impfung die Infektion kaum verhindern kann. „Man muss jetzt also klar unterscheiden, was man mit Wirksamkeit meint“, betonte Zwiauer, „meint man die Infektion, die schwere Erkrankung, die Hospitalisierung oder den Tod. Und daraus ergibt sich dann auch die Frage, welchen Unterschied man zwischen drei und vier Impfungen sieht. Wir müssen hier viel differenzierter und individualisierter vorgehen.“
Ein Faktum ist das relativ schnelle Nachlassen der Immunität nach Impfung gegen SARS-CoV-2. Eine Metaanalyse von 18 Studien mit insgesamt fast sieben Millionen Patienten zeigte im ersten Monat nach voller Impfung gegen die Infektion mit SARS-CoV-2 noch eine Gesamtwirksamkeit von 83%, nach fünf Monaten war diese jedoch auf 22% abgesunken. Im Gegensatz dazu betrug die Gesamtwirksamkeit gegen symptomatische Covid-19-Erkrankung nach einem Monat 94%, nach vier Monaten 64%. Noch besser war die Wirksamkeit gegen schwere Verläufe, die nach fünf Monaten immer noch bei 90% lag. „Letzteres – und das ist wichtig – gilt auch für Omikron“, so Zwiauer, „und es gilt auch für alle Altersgruppen.“
Zahlen aus den USA zeigen, dass in der Altersgruppe über 50 Jahren Ungeimpfte im Vergleich mit Personen, die mindestens drei Impfungen erhalten haben, ein etwa 40-mal so hohes Mortalitätsrisiko durch Covid-19 aufweisen. In derselben Altersgruppe ist aber das Mortalitätsrisiko für dreimal Geimpfte immer noch viermal so hoch wie für viermal Geimpfte.
„Wir können also sagen, dass eine vierte Impfdosis, die zumindest vier Monate nach der dritten gegeben wird, einen zusätzlichen, kurzfristigen Schutz gegen SARS-CoV-2-Infektion, symptomatische Erkrankung, Hospitalisierung, schweren Verlauf und Tod gibt“, so der Kinderarzt.
À la longue wird allerdings auch die vierte Impfung nicht vor neuerlicher Infektion mit Omikron-Varianten schützen. Infolgedessen ist damit auch kein Verhindern oder Brechen der Omikron-Wellen möglich. Der Individualschutz gegen schwere Verläufe und Todesfälle wird jedoch durch eine vierte Impfung sicher verstärkt.
Abb. 1: Entwicklung der SARS-CoV-2-Varianten (modifiziert nach Mykytyn AZ et al.: Sci Immunol 2022, doi: 10.1126/sciimmunol.abq4450)
4. Stich, also jetzt für wen?
Das österreichische Nationale Impfgremium (NIG) stellt zunächst fest, dass hinsichtlich des vierten Stichs derzeit alle SARS-CoV-2-Impfungen „off label“ sind. Schwerwiegend immungeschwächte bzw. stark immunsupprimierte Personen – wie Patienten nach Transplantationen, Chemotherapie oder Biologika – sollten altersabhängig entsprechend ihren individuellen Bedürfnissen geimpft werden. „Das lese ich so, dass diese Personen jetzt sofort einen vierten Stich bekommen sollten“, sagte Zwiauer.
Die weitere Zielgruppe für eine vierte Impfung sind einerseits Risikopersonen ab zwölf Jahren, andererseits die gesamte Bevölkerung ab 65 Jahren. All diese Personen sollten einen vierten Stich frühestens vier, aber jedenfalls ab sechs Monaten nach dem dritten Stich erhalten.
Die Liste der Vorerkrankungen und sonstigen Umstände, die jemanden zu einer Risikoperson machen, ist sehr lang und in den Anwendungsempfehlungen des NIG zu finden. Diese lassen sich von der Homepage des Gesundheitsministeriums herunterladen ( https://www.sozialministerium.at/Corona/Corona-Schutzimpfung/Corona-Schutzimpfung---Fachinformationen.html ).
Im Gegensatz dazu stellt das NIG fest, dass ein vierter Stich bei gesunden, immunkompetenten Personen zwischen 12 und 64 Jahren die Schutzwirkung gegen eine SARS-CoV-2-Infektion bzw. eine leichte Covid-19-Erkrankung nur eingeschränkt und kurzfristig verbessert. Deshalb wird für diese Personengruppe, sofern sie dreimal geimpft ist, die vierte Impfung nicht allgemein empfohlen. (Inzwischen wird die Impfung ab 60 Jahren allgemein empfohlen, siehe oben.)
Allerdings schreibt das NIG auch, dass bei persönlichem Wunsch nach einem vierten Stich auch nichts gegen diesen spreche, wenn er frühestens vier, besser aber sechs Monate nach dem dritten Stich erfolgt. Personen mit einem solchen Impfwunsch sollte die vierte Impfung nicht vorenthalten werden. „Es mag allerdings durchaus sein, dass diese Aussage auch ein wenig zur herrschenden Verwirrung beigetragen hat“, so der Experte kritisch.
Was kommt auf uns zu?
Die nahe Zukunft beschreibt Zwiauer folgendermaßen: BA.4/5 wird die dominante Variante und bleibt dies auch über den Sommer. Hospitalisierungen werden wieder deutlich zunehmen, so wie bei BA.1/2. Die Höhe der Sommerwelle wird über die Höhe der Herbst/Winterwelle entscheiden. Die Infektionswellen werden durch Impfungen nicht zu brechen sein. Impfungen werden vor allem Individualschutz, aber keinen Infektionsschutz geben. Hygienemaßnahmen wie Maskentragen, Händewaschen und Kontaktvermeidung werden wieder massiv an Bedeutung gewinnen.
„Noch ein Wort zu den Omikron-adaptierten Impfungen, auf die viele warten“, so Zwiauer. „Bisherige Daten lassen eher daran zweifeln, dass die an BA.1 adaptierten Vakzinen hinsichtlich der neutralisierenden Antikörper viel besser sind als die ursprünglichen Impfungen. Ich würde daher sagen, dass das Warten auf die an BA.1 adaptierten Vakzinen für Risikopersonen kein Grund dafür sein sollte, den vierten Stich hinauszuzögern!“
Quelle:
Vortrag von Univ.-Prof. Dr. Karl Zwiauer, Krems, im Rahmen des Giftigen Livestreams „COVID-19-Impfung: Wer braucht den 4. Stich jetzt?“ am 11.Juli 2022
Vorträge abrufbar in der Mediathek unter https://infektiologie.co.at/
Literatur:
beim Vortragenden
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