HIV-Therapie-Adhärenz während der Covid-19-Pandemie
Autorin:
cand.med. Karoline Grünberger
4. Medizinische Abteilung mit Infektiologie
Klinik Favoriten
E-Mail: gruenberger.k@gmx.at
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Viele Patienten leiden unter der Fokussierung des Gesundheitssystems auf Covid-19. In der vorgestellten Studie wurde nun erstmals die Versorgung bzw. die Therapieadhärenz von HIV-positiven Patienten an zwei Wiener Kliniken während der Covid-19-Pandemie untersucht.
Keypoints
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Die durchschnittliche Besuchsfrequenz von HIV-Patienten im Jahr 2019 betrug 266 Patienten/Monat, im Jahr 2020 waren es nur 188 Patienten/Monat.
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Bei 2% der zuvor erfolgreich behandelten Patienten trat während der Pandemie erstmalig eine nachweisbare Virusvermehrung durch unzureichende Adhärenz oder Therapieabbruch auf.
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11% aller Patienten, die vor Pandemiebeginn in regelmäßiger Behandlung waren, erschienen bis zum Ende der Beobachtungszeit Mitte November 2020 nicht zur Kontrolle.
Die Covid-19-Pandemie belastet die Gesundheitssysteme weltweit nun schon über ein Jahr. Immer wieder wird von Medizinern auf die gesundheitlichen Kollateralschäden für Patienten mit anderen Erkrankungen durch die Fokussierung des Gesundheitssystems auf Covid-Patienten aufmerksam gemacht.
An den infektiologischen Ambulanzen der Klinik Favoriten und der Klinik Penzing in Wien, wo sich seit 2017 1083 HIV-positive Patienten in regelmäßiger Betreuung befinden, ging während der Lockdowns im März/April und November 2020 die Anzahl der Konsultationen rapide zurück. Auch die Zahl jener Patienten, welche bei Kontrolluntersuchungen nach Ausbruch der Pandemie eine Viruslast (VL) über 200c/ml im Blut aufwiesen, was hinweisend auf Adhärenzprobleme sein und einem virologischen Versagen vorausgehen kann,schien 2020 anzusteigen. Daraufhin wurden die Daten aller Patienten dieser zwei Versorgungszentren auf Therapieerfolg (VL unter 50c/ml) bzw. drohendes Therapieversagen (VL>200c/ml) untersucht.
Hintergrund und Methoden
Vor allem HIV-Patienten wurden wegen ihrer Immunsystemerkrankung von Pandemiebeginn an zur Risikogruppe gezählt und das Risiko eines schweren bzw. tödlichen Verlaufes im Falle einer Ansteckung mit SARS-CoV-2 wurde als erhöht eingeschätzt. Eine zuverlässige Studienlage zum Covid-19-Risikoprofil von HIV-Patienten, auch bezugnehmend auf den individuellen Immunstatus, entwickelte sich im Laufe des Jahres 2020 nur schleppend. Dies führte dazu, dass die Patienten von ihren Ärzten diesbezüglich nicht immer adäquat beraten werden konnten, was ebenfalls zur Verunsicherung der Patienten und zu deren Meidung von Krankenanstalten beitrug.
Obwohl telefonische Beratung und Weiterverschreibung der ART in den Behandlungszentren rasch etabliert wurden, ist eine Überprüfung des Erfolgs dieser Maßnahmen für den einzelnen Patienten nur bei den persönlichen Kontrollterminen mittels Blutabnahme möglich. Diese Beobachtungsstudie sollte ein klareres Bild liefern, ob durch die fehlende Möglichkeit von persönlichen Konsultationen während der beiden ersten Lockdowns potenzielle Kollateralschäden in der Betreuung der HIV-Patienten in zwei großen österreichischen HIV-Betreuungszentren entstanden sind und welches Ausmaß diese in den ersten neun Monaten der Pandemie bereits angenommen haben.
Für die Studie wurden HIV-positive Patienten, welche sich für mindestens zwölf Monate in regelmäßiger Kontrolle an den infektiologischen Ambulanzen der Klinik Favoriten und der Klinik Penzing in Wien befanden, bezüglich ihrer ART-Adhärenz gescreent, beginnend mit dem ersten Lockdown im März 2020 bis zum Höhepunkt der zweiten Welle Ende November 2020. Die gesamte Anzahl an Konsultationen wurde pro Jahr und pro Monat berechnet. Da durch die telefonische Weiterverordnung der ART die Weiterführung der HIV-Therapie auch ohne persönlichen Kontakt ermöglicht wurde, wurde neben der Konsultationsfrequenz die Messung der Viruslast im Serum als Faktor zur Einschätzung der Therapieadhärenz herangezogen.
Die Patienten wurden in vier Gruppen unterteilt, abhängig von deren Konsultationsfrequenz und Therapieadhärenz, wozu die nachweisbare bzw. nicht nachweisbare Viruslast (unter 200c/ml) ab März 2020 herangezogen wurde. In der ersten Gruppe befanden sich Patienten, welche zu jedem Konsultationszeitpunkt, also sowohl vor als auch nach Beginn der Covid-19-Pandemie, stets eine unterdrückte Viruslast aufwiesen. Die zweite Gruppe umfasste alle Patienten, welche zumindest zu einem Zeitpunkt ab März 2020 eine Viruslast von >200c/ml hatten, obwohl sie zuvor stets erfolgreich therapiert gewesen waren. In der dritten Gruppe befanden sich Patienten, welche sowohl nach als auch vor dem März 2020 zu mindestens einem Zeitpunkt eine erhöhte Viruslast im Blut aufwiesen, was als Anzeichen eines anhaltenden Compliance-Problems interpretiert werden kann. Die vierte Gruppe umfasste Patienten, welche vor dem März 2020 immer regelmäßig zur Kontrolle erschienen waren und dabei eine unterdrückte Viruslast hatten, jedoch ab Beginn der Pandemie in Österreich bis Mitte November 2020 nicht mehr zur Kontrolle erschienen.
Resultate
Seit 2017 waren 1083 HIV-positive Patienten in regelmäßiger Betreuung an beiden Behandlungszentren. Von Jänner bis Oktober 2019 fanden insgesamt 2755 Konsultationen statt, während im gleichen Zeitraum 2020 lediglich 1936 Konsultationen verzeichnet wurden. Die durchschnittliche Besuchsfrequenz betrug im Jahr 2019 266 Patienten pro Monat, im Jahr 2020 nur 188 Patienten pro Monat. Während des ersten Lockdowns im Zeitraum März/April 2020 brach die Konsultationsfrequenz immens ein, auf 97 Patienten im März bzw. 39 Patienten im April (Abb. 1).
Abb. 1: Besuchsfrequenz von HIV-Patienten 2019 und 2020
85% (n=925) der Patienten in regelmäßiger Behandlung hatten das gesamte Jahr 2020 eine supprimierte Viruslast (unter 200c/ml). Bei 2% der zuvor erfolgreich behandelten Patienten (n=18) trat erstmalig eine nachweisbare Virusvermehrung >200c/ml durch unzureichende Adhärenz oder Therapieabbruch auf. Weitere 2% (n=19) wiesen ebenfalls eine erhöhte Viruslast auf, welche jedoch bereits schon vor Beginn der Pandemie aufgetreten war. 11% aller Patienten, welche vor dem März 2020 in regelmäßiger Behandlung waren (n=121), erschienen ab Beginn des ersten Lockdowns bis zum Ende der Beobachtungszeit Mitte November 2020 nicht zur Kontrolle (Abb. 2).
Abb. 2: Therapieadhärenz von HIV-Patienten im Jahr 2020
Diskussion
Der Großteil der HIV-positiven Patienten in regelmäßiger Kontrolle konnte eine vollständige Unterdrückung der Virusvermehrung durch die HIV-Therapie während der Pandemie erfolgreich aufrechterhalten. Bei 2% der Patienten mit zuvor stets unterdrückter Viruslast wurde erstmals eine Virusvermehrung nachgewiesen, was auf einen Therapieabbruch oder Adhärenzprobleme hinweisend sein kann, möglicherweise auch aufgrund eingeschränkten Zugangs zu persönlichen Konsultationen. In den meisten dieser Fälle konnte bei der darauffolgenden Kontrolle durch Weiterführung der antiviralen Therapie wieder eine unterdrückte Virusvermehrung erreicht werden. Dennoch kann das wahre Ausmaß der Kollateralschäden während der Covid-19-Pandemie bezüglich Adhärenz zur HIV-Therapie noch nicht genau eingeschätzt werden, da 121 Patienten bis zum Ende der Beobachtungszeit nicht zur Kontrolle erschienen sind.
Literatur:
bei der Verfasserin
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