Fortschritte & Herausforderungen in der HIV-Betreuung in Österreich
Bericht:
Dr. Katrin Spiesberger
Anlässlich des Welttages der sexuellen Gesundheit am 4.9. wurde das HIV-Perspektivenpapier präsentiert, das von Gilead Sciences in Kooperation mit den AidsHilfen Österreich und dem Verein PULSHIV erstellt wurde. Darin haben führende HIV-Expert:innen einen Überblick über die Lebensrealitäten und Zukunftsaussichten von Menschen mit HIV in Österreich erstellt. Darüber hinaus veranschaulicht es die Ergebnisse einer aktuellen Umfrage zur öffentlichen Meinung über HIV.
Die Österreichische AIDS Gesellschaft schätzt, dass etwa 8000 bis 9000 Personen mit einem HIV-positiven Status in Österreich leben. Zur Eliminierung von HIV haben die Vereinten Nationen die UNAIDS-95%-Ziele formuliert, die auch für Österreich Anwendung finden. So sollen bis 2030 global 95% aller Menschen mit HIV ihren Status kennen, 95% davon sollen Zugang zur HIV-Therapie haben und von diesensollen95% das Therapieziel einer Viruslast unter der Nachweisbarkeitsgrenze erreichen. Zudem soll es null Diskriminierung von Menschen mit HIV geben. Die Werkzeuge zur Eliminierung von HIV sind also hinlänglich bekannt, jedoch stellt die Umsetzung dieser Ziele weiterhin eine Herausforderung dar.
Übertragung und Therapiefortschritte
Anlässlich des Welttages für sexuelle Gesundheit haben bei einer Pressekonferenz Expert:innen und von HIV Betroffene Fortschritte und Herausforderungen in der HIV-Betreuung in Österreich diskutiert (Abb. 1).
Abb. 1: Vortragende Expert:innen (v.l.n.r.): Michael Skoll, WiltrutStefanek, Michael Hofbauer, Andrea Brunner und Moderatorin Mag. Birgit Leichsenring
Dr. Michael Skoll, Facharzt für Haut- und Geschlechtskrankheiten, Wien, wies auf die häufigsten Übertragungswege – ungeschützter Geschlechtsverkehr und die gemeinsame Nutzung von Spritzenbesteck zum intravenösen Drogengebrauch – hin und stellte einmal mehr klar, dass HIV im Rahmen alltäglicher Kontakte wie beim Benutzen der gleichen Toilette oder auch beim Küssen nicht übertragbar ist. Seit Mitte der 1990er-Jahre stehen antiretrovirale Kombinationstherapien zur Behandlung der HIV-Infektion zur Verfügung, womit es möglich wurde, die Lebensqualität der Betroffenen erheblich zu verbessern und den Ausbruch von Aids zu verhindern. Zahlreiche Studien konnten belegen, dass die Infektion von Betroffenen, deren Viruslast im Blut aufgrund der korrekten und regelmäßigen Einnahme der Therapie unter der Nachweisgrenze liegt, auf sexuellem Weg nicht übertragen werden kann.
„In der Behandlung der HIV-Infektion wurden in den letzten Jahren bedeutende Fortschritte erzielt, die Hoffnung und Perspektiven auf eine bessere Zukunft bieten. Doch während wir diese Erfolge feiern, müssen wir uns weiterhin den bestehenden Herausforderungen stellen, mit denen Menschen mit HIV immer noch konfrontiert sind“, so Mag. Andrea Brunner, Geschäftsführerin der Aids Hilfe Wien.
Mehr Wissen über HIV schaffen, um Diskriminierung entgegenzuwirken
Das fängt bei der Diagnosestellung an. Michael Hofbauer, Betroffener und Aktivist, berichtete: „Die HIV-Diagnose war ein großer Schock für mich, da HIV für mich etwas Unbekanntes und Abstraktes war. Die öffentliche Awareness zu diesem Thema ist gering, und es wird eindeutig zu wenig darüber gesprochen. Auch mein Wissen war damals sehr spärlich. Deshalb ist es mir heute wichtig, Menschen zu informieren – einerseits, um Bewusstsein rund um HIV und die Ansteckung zu schaffen, und andererseits, um HIV-positiven Menschen die Angst zu nehmen. Was früher eine schwerwiegende Infektion war, ist heute mit einer Tablette am Tag gut behandelbar. Man muss also keine Todesängste mehr haben, wenn man diese Diagnose erhält.“ Hofbauer engagiert sich bei den PositiveBuddys, einer österreichweiten Initiative der Aids Hilfe Oberösterreich, bei der Menschen, die schon länger mit HIV leben, frisch positiv getesteten Menschen als Buddy zur Seite stehen und sie mit ihren Erfahrungen unterstützen.
Eine der größten Herausforderungen bleiben die Diskriminierung und Stigmatisierung von Menschen mit HIV. Wiltrut Stefanek, Obfrau des Vereins PULSHIV, betont: „Ich begegne immer wieder Menschen die im privaten, beruflichen, aber auch im medizinischen Bereich aufgrund ihres HIV-Status diskriminiert werden. Häufig ist dabei einfach Unwissenheit ein treibender Faktor! Die Botschaft, dass wir unter HIV-Therapie nicht ansteckend sind, muss verbreitet werden. Ich bin überzeugt, dass Vorurteile und Ängste nur durch Aufklärung abgebaut und beseitigt werden können.“
Perspektivenpapier – das weiß Österreich
Das im Zuge der Pressekonferenz vorgestellte Perspektivenpapier formuliert konkrete Forderungen dahingehend. So verlangen die an der Erstellung beteiligten Expert:innen beispielsweise verstärkte Bildungsmaßnahmen für Gesundheitspersonal und Allgemeinbevölkerung, um Vorurteile über HIV abzubauen und die Qualität der Betreuung zu verbessern. Sie betonen die Bedeutung der Adhärenz für den Therapieerfolg, plädieren für neue, realistischere Darstellungen von Menschen mit HIV und fordern den Ausbau psychosozialer Angebote, um eine ganzheitliche Unterstützung und eine hohe Lebensqualität von Menschen mit HIV zu gewährleisten.
Denn die österreichische Umfrage, deren Auswertung im Perspektivenpapier aufgearbeitet wurde, zeigt erschreckende Ergebnisse (Abb. 2): 16% der Befragten würden keine Freundschaft mit einer HIV-positiven Person eingehen, und immerhin 10% würden nicht einmal neben einem bzw. einer Betroffenen Platz nehmen. Zudem herrscht ein gravierendes Unwissen über die Krankheit: 65% glauben fälschlicherweise, dass HIV auch unter antiretroviraler Therapie sexuell übertragbar sei. 31% sind der Meinung, dass HIV durch einen Kuss übertragen werden kann, und 12% denken, dass das Teilen von Gegenständen wie Gläsern oder Tellern zu einer Infektion führen könnte. Diese Fehlinformationen stehen im krassen Widerspruch zur Realität.
Abb. 2: Auszug aus den Ergebnissen der österreichweiten Umfrage zu HIV aus dem Perspektivenpapier
Noch erschreckender als das Unwissen in der allgemeinen Bevölkerung ist die Tatsache, dass laut aktuellen Daten im Jahr 2023 70% aller gemeldeten Diskriminierungen in Österreich im Gesundheitswesen stattfanden. Dies beinhaltet beispielsweise die Verweigerung einer Behandlung, Terminverlegungen ans Ende der Ordinationszeit und abwertendes Verhalten seitens des Pflege- und ärztlichen Personals. Hier leisten die Aids Hilfen Österreich einen enormen Beitrag, um auch die Arbeitenden im Gesundheitswesen entsprechend aufzuklären.
HIV-Kampagne „Wie du und ich“
Um die Stigmatisierung durch HIV zu bekämpfen und das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen, hat Gilead Sciences Österreich als Reaktion auf die Forderung, „neue Bilder von HIV zu schaffen“, die Kampagne „Wie du und ich“ ins Leben gerufen. Den Kern der Kampagne bilden vier Sujets mit realistischen Darstellungen von Menschen mit HIV, die veranschaulichen, dass HIV jede und jeden betreffen kann.
Skoll appelliert: „Wir haben heute gehört, dass HIV noch immer zu sehr starkerStigmatisierung führtund die Allgemeinbevölkerung ein relativ konkretes – jedoch veraltetes – Bild einer betroffenen Person im Kopf hat. Dabei übersehen wir aber, dass HIV tatsächlich jede und jeden von uns treffen kann. Menschen haben Sex. Nicht wenige auch ungeschützt. Das reicht bereits aus, um sich nicht nur mit HIV, sondern auch anderen sexuell übertragbaren Krankheiten zu infizieren. Es bedarf daher in allen Bereichen einer stärkeren Aufklärung und regelmäßiger Weiterbildungen, um das Thema sexuelle Gesundheit zu enttabuisieren und Bewusstsein dafür zu schaffen.“
Quelle:
„HIV: Von medizinischen Durchbrüchen bis zur sozialen Integration“; Pressegespräch von Gilead Sciences GmbH am 3.9.2024 in Wien
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