Cancer Nurses: «Wir brauchen nur den Mut zur Durchsetzung»
Unsere Gesprächspartner:
Walter Voitl-Bliem, MBA
Geschäftsführer
Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie (OeGHO)
E-Mail: walter.voitl-bliem@oegho.at
Harald Titzer, MSc
Präsident
Arbeitsgemeinschaft hämatologischer und onkologischer Pflegepersonen in Österreich (AHOP)
E-Mail: h.titzer@ahop.at
Das Interview führte Ingeborg Morawetz, MA
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Neue Herausforderungen in der hämatoonkologischen Pflege brauchen innovative Lösungen. Das international erfolgreiche Konzept von spezialisierten «Cancer Nurses» ist ein Ansatz, der gleich mehrere Probleme in Angriff nehmen könnte. Über die mögliche Umsetzung im deutschsprachigen Raum haben der OeGHO-Geschäftsführer Walter Voitl-Bliem und der AHOP-Präsident Harald Titzer mit Leading Opinions gesprochen.
In Österreich läuft gerade der Prozess der Etablierung von «Cancer Nurses» an. Was macht Cancer Nurses aus?
W. Voitl-Bliem: Wir sehen schon jetzt, dass die Versorgung von Menschen mit Krebs in Zukunft durch den demografischen Wandel, bessere Therapien und viele andere Faktoren immer komplexer und herausfordernder werden wird. Die Grundüberlegung zum Start der «Cancer Nurse»-Initiative ist, als medizinische Fachgesellschaft die bereits intensive Zusammenarbeit mit den Kolleg:innen aus der Pflege weiter zu verstärken.
Das Berufsbild der Cancer Nurses ist ein international anerkanntes Konzept, das sich bewährt. Es ist nichts, was wir neu erfinden müssen oder wollen. Es trägt dazu bei, die Versorgungssicherheit für Menschen mit Krebs zu erhöhen und zu verbessern. Das wird erreicht, indem Rollen spezifischer und auch gleichwertiger verteilt werden.
H. Titzer: In der Beschreibung des Berufsbildes wird klargestellt, dass ein:e Cancer Nurse eine allgemeine diplomierte Gesundheits- und Krankenpflegeperson ist, die in einer hämatoonkologischen Abteilung tätig ist und dort eine Rolle einnimmt, die auf einer vertieften und erweiterten Pflege basiert. Cancer Nurses sind Spezialist:innen für eine bestimmte Entität von Krebserkrankungen, beispielsweise für kolorektale Karzinome oder Kopf-Hals-Tumoren.
Auf welchen Berufsbildern baut die Ausbildung «Cancer Nurse» auf?
Abb. 1: Der Weg zum Beruf «Cancer Nurse». Modifiziert nach AHOP
H. Titzer: Auf der Basisausbildung von Gesundheits- und Pflegepersonen. In Österreich und der Schweiz gibt es ja noch das duale Ausbildungssystem, mit einem Bachelor- und einem Diplomabschluss. In Österreich soll es jedoch bald nur noch Bachelorabschlüsse geben.
Der Beruf «Cancer Nurse» kann über beide Qualifikationsstufen erreicht werden (Abb. 1). Daran interessierte Pflegepersonen müssen vor der Ausbildung mindestens zwei Jahre im Bereich der Hämatologie oder Onkologie arbeiten.
Dann können sie in den Spezialisierungslehrgang einsteigen, der in Vollzeit 60 ECTS erfordert. Das wären zwei Semester. In der Schweiz existiert der Lehrgang in dieser Form schon, er heisst nur ein bisschen anders. Daran kann dann noch ein Masterstudium mit 120 ECTS angehängt werden.
Wie läuft der Prozess der Etablierung ab und wie weit ist er fortgeschritten?
W. Voitl-Bliem: Vor neun Monaten haben wir begonnen, über die Etablierung zu reden. Da haben wir eine Gruppe gegründet, bestehend aus Mitgliedern der OeGHO (Österreichische Gesellschaft für Hämatologie & Medizinische Onkologie), der AHOP (Arbeitsgemeinschaft hämatologischer und onkologischer Pflegepersonen in Österreich), der Präsidentin des Österreichischen Gesundheits- und Krankenpflegeverbandes, der Österreichischen Krebshilfe und anderen Stakeholdern. Unsere Expert:innen kommen aus ganz unterschiedlichen Bereichen: aus der akademischen Pflege, aus dem Pflegedienst und aus den Führungsetagen.
Im Juni 2023 haben wir das in der Zusammenarbeit entstandene Papier der Öffentlichkeit vorgestellt. Jetzt sind wir dabei, die politischen Gremien anzusprechen, um die Umsetzung zu erreichen. Ab Herbst dieses Jahres soll die Spezialisierungsverordnung für Pflegepersonen in Österreich angepasst werden. Das sehen wir als eine offene Tür, durch die wir gehen wollen, um «Cancer Nurses» in Österreich zu etablieren.
Gibt es noch Hindernisse, auf die Sie stossen könnten?
W. Voitl-Bliem: Natürlich – es hat schon mehrfach Versuche gegeben, die Pflege in der Hämatoonkologie entsprechend weiter zu qualifizieren. Diese Versuche sind alle gescheitert. Das lag vor allem daran, dass bei manchen Institutionen Kritik an der interdisziplinären Interprofessionalität besteht. Aber in den letzten Jahren hat sich viel geändert, wir sind also optimistisch.
H. Titzer: In der Zwischenzeit waren wir in der Praxis nicht untätig. Wir haben im klinischen Alltag versucht, auf Basis fundierter Erkenntnisse aus Pilotprojekten die neuen Pflegerollen probeweise einzusetzen. Es war beeindruckend zu sehen, dass es dabei eigentlich nur Vorteile gab: für die Pflegepersonen, die klar umrissene, professionalisierte Aufgabenbereiche hatten, für das ärztliche Personal, das so mehr Zeit für Patient:innen schaffen konnte, und erst recht für die Patient:innen, die eine deutliche Qualitätssteigerung in der Betreuung erfahren haben. Dadurch können wir nun auf einer soliden Basis formulieren, warum es sinnvoll ist, spezialisierte Rollen in der Praxis zu etablieren.
Was bedeutet die Spezialisierung «Cancer Nurse» für Menschen, die in die Pflege gehen wollen?
W. Voitl-Bliem: Im deutschsprachigen Raum herrschen medial erzeugte Bilder dazu vor, wie schlecht die Pflege dasteht und wie stark der Pflegenotstand ist. Da wird alles über einen Kamm geschoren, ohne zu differenzieren. Aber wir wissen zum Beispiel, dass Pflegekräfte, die in der Hämatoonkologie arbeiten, deutlich weniger frustriert sind als Kolleg:innen, die in anderen Bereichen arbeiten. Hämatoonkologische Pflege ist eine sehr sinnstiftende Tätigkeit. Wenn wir es in dieser eigentlich ohnehin schon sehr guten Situation noch schaffen, die Menschen, die sich qualifizieren und weiter professionalisieren wollen, zu unterstützen, dann wird das die Zufriedenheit im Job noch weiter steigern.
H. Titzer: Das Konzept «Cancer Nurse» ist auch einfach ein Karrierechancen-Modell für junge Menschen. Es gibt ihnen eine Orientierung. Wir erwarten diese Spezialisierung natürlich nicht von allen Menschen, die in der hämatoonkologischen Pflege tätig sind, sondern im Rahmen einer bewusst abgestuften Versorgung soll nur ein bestimmter Prozentsatz zu «Cancer Nurses» ausgebildet werden. Angelehnt an den Österreichischen Strukturplan Gesundheit haben wir Vorschläge für die unterschiedlichen Versorgungsebenen gemacht. Es geht nicht darum, wie viele Personen eine bestimmte Qualifikationsstufe erlangen, sondern darum, dass über Qualitätskriterien eine festgelegte Versorgungsstufe erreicht wird.
Was ist ganz aktuell das Ziel?
W. Voitl-Bliem: Wir wollen die politisch Verantwortlichen erreichen, um darzulegen, wie eindeutig die Vorteile unseres Konzepts sind. Es braucht innovative Konzepte, um den momentanen und zukünftigen Herausforderungen in der Pflege zu begegnen. «Cancer Nurses» werden kein Allheilmittel sein, aber sie können einen Beitrag leisten, um die Versorgung von Krebspatient:innen auch in den kommenden Jahrzehnten sichern zu können.
Wie steht es um den internationalen Austausch?
H. Titzer: Wir sind in engem Austausch mit anderen Organisationen für Pflegeberufe in Deutschland und der Schweiz und können uns glücklich schätzen, dass wir in dem deutschsprachigen Kreis gut aufgehoben sind. Wir verfolgen alle das gleiche Ziel, nämlich die onkologische Pflege auf ein höheres Qualitätsniveau zu bringen.
Gibt es neben der Spezialisierung «Cancer Nurse» noch andere Initiativen?
H. Titzer: Gerade in der Schweiz gibt es auch eine Tendenz in die Richtung, vermehrt untergraduiertes Personal auszubilden. Mit unserer «Cancer Nurse»-Initiative bewegen wir uns eher in die entgegengesetzte Richtung der Hochqualifizierung. Es wäre gut, wenn beide Entwicklungen in der Pflege realisiert werden können, das würde ich den Kolleg:innen in der Schweiz und auch uns wünschen. Im besten Falle kann man da auch zusammen etwas auf die Beine stellen.
Wir haben zum Beispiel eine Studie zum Thema «Personalausstattung in der onkologischen Pflege» gelauncht. Das ist ein Kooperationsprojekt zwischen Österreich und der Schweiz, in dem wir versuchen, eine aktuelle Datenlage dazu zu schaffen, wohin die Entwicklung in der Pflege gehen kann.
Veränderungen sind also unumgänglich?
W. Voitl-Bliem: Wir werden es nicht vermeiden können, Massnahmen zu setzen, um die zunehmende Menge an Menschen, die an Krebs erkranken und mit Krebs leben werden, in dem existierenden System zu versorgen. Die Spezialisierung «Cancer Nurse» wird nicht die einzige Massnahme bleiben, aber sie ist ein wesentlicher Schritt, den man eigentlich nicht infrage stellen muss. Es gibt ausreichend Evidenz, dass sie zu einem wesentlichen Gewinn für die Qualität der Versorgung werden wird. Wir brauchen nur den Mut, die Initiative durchzusetzen.
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