Auf der Suche nach dem verborgenen Schatz?
Autorin:
Univ.-Prof. Priv.-Doz. Dr. Kathryn Hoffmann, MPH
Leiterin der Abteilung für Primary Care Medicine
Zentrum für Public Health
Medizinische Universität Wien
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Die Dringlichkeit der niedrigschwelligen Versorgung von Patient:innen mit postakuten Infektionssyndromen ist hoch. Expert:innen haben Konzepte für Versorgungspfade und spezifische Behandlungsstellen im sekundären und tertiären Versorgungssektor erarbeitet. Nun sind die politischen Entscheidungsträger am Zug, diese baldmöglichst umzusetzen.
Als die Fortbildung „Postvirale Syndrome am Beispiel SARS CoV-2“ im Herbst 2023 von der Österreichischen Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (ÖGAM), der Ärztekammer für Wien und Prim. Dr. Ralf Harun Zwick geplant wurde und mir der Vortragstitel „Post-Covid-Ambulanz – die spezifische Anlaufstelle“ zugedacht wurde, war ich selbst schon gespannt, was ich denn im Februar 2024 von spezifischen Behandlungsstellen in Bezug auf postakute Infektionssyndrome zu erzählen haben würde. Die Monate zogen ins Land und Mitte Februar 2024 musste ich dann im letzten Moment den Titel des Vortrags ändern in: „Die Ambulanz für postakute Infektionssyndrome – auf der Suche nach dem verborgenen Schatz.“
Was war geschehen? Wissenschaftler:innen und Expert:innen für postakute Infektionssyndrome (PAIS) in Österreich, so auch ich, waren das ganze Jahr 2023 über sehr engagiert und produktiv. Sie haben beispielsweise das Kapitel 9 der Österreichischen S1-Leitlinie „Management postakuter Zustände am Beispiel Post-COVID-19“ erarbeitet, in welchem ausführlich beschrieben steht, wie ein optimaler Versorgungspfad inklusive spezifischer Behandlungsstellen im sekundären und tertiären Versorgungssektor aussehen soll. Zuvor gab es bereits einen Entschließungsantrag des Nationalrates betreffend Anerkennung, medizinische Versorgung und Absicherung von Betroffenen von myalgischer Enzephalomyelitis/„chronic fatigue syndrome“ (ME/CFS) sowie Forschungsförderung. Darüber hinaus wurde im Rahmen der Arbeitsgruppe „Spezifische Versorgungsstrukturen für Menschen mit postakuten Infektionssyndromen“ des Obersten Sanitätsrates gemeinsam mit den Patient:innenorganisationen ein Manifest erstellt, in welchem Infos zu Bedarf, Dringlichkeit und Priorisierung der Behandlungsnotwendigkeiten kurz und übersichtlich zu finden sind. Dieses wurde auch Ende November 2023 auf dem Symposium zu „Folgezuständen nach Virusinfektionen mit Fokus auf Long COVID und ME/CFS“ öffentlich besprochen, das gemeinsam vom Bundesministerium für Soziales, Gesundheit, Pflege und Konsumentenschutz (BMSGPK) und der Gesundheit Österreich GmbH (GÖG) veranstaltet wurde. Die Ausschreibung eines Referenzzentrums als „knowledge hub“ wurde angekündigt.
An der Medizinischen Universität Wien wird mit Nachdruck am Projekt „Care for ME/CFS“ gearbeitet. Dieses wird durch Mittel des Open Innovation in Science (OIS) Centerder Ludwig Boltzmann Gesellschaft gefördert und in Kooperation mit der Österreichischen Gesellschaft für ME/CFS und der Technischen Universität Wien durchgeführt. Ziel des Projektes ist es, Praxisleitfäden zu erarbeiten und Behandlungsstellen auszugestalten.
Dringlicher Umsetzungsbedarf
Theoretisch ist also alles fertig und steht in den Startlöchern.Was jedoch noch auf sich warten lässt, ist, dass diese fertigen Konzepte zur gesundheitlichen Behandlung der Betroffenen nun auch in die Umsetzung kommen. Es braucht jetzt gesundheitspolitischen Umsetzungswillen und Tatkraft zur Schaffung dieser Behandlungszentren – eventuell mit einem Kompetenz-Behandlungszentrum als „model of best practice“ zu Beginn. Und diese Tatkraft würde auch noch mit sofortiger internationaler Anerkennung und Erhöhung der wissenschaftlichen Wettbewerbsfähigkeit des Standortes Österreich einhergehen, einem Schulterschlussz.B. mitdem Center für postakute Infektionssyndrome der Universität Yale stände nichts mehr im Weg. Wobei – eine Ambulanz für postakute Infektionssyndrome gibt es an der Universitätsklinik Innsbruck für zwei Tage im Monat, was wirklich fantastisch ist, leider nur viel zu wenig für den Bedarf in Österreich. Und die Situation angesichts der täglich steigenden Zahl an Patient:innen mit postakuten Infektionssyndromen und ME/CFS, welche eine spezifische Behandlungsstelle brauchen, wie sie bei allen anderen schweren und komplexen Erkrankungen auch selbstverständlich zur Verfügung steht, wird immer dramatischer – es ist eben wie die Suche nach dem verborgenen Schatz.
Begriffsdefinitionen
Wer genau gelesen hat, dem/der wird zusätzlich zur „Suche nach dem verborgenen Schatz“ aufgefallen sein, dass sich der Titel meines Vortrags auch dahingehend geändert hat, dass ich nun von Ambulanz für postakute Infektionssyndrome spreche und nicht mehr nur von Post-Covid-Ambulanz. Dazu muss ich etwas weiter ausholen: Der Begriff LongCovid ist ein Überbegriff für alle Schäden, die das SARS-CoV-2 (SC2) am menschlichen Körper anrichten kann und die länger als vier Wochen anhalten. LongCovid setzt sich aus dreiGruppen zusammen:
-
Symptome durch einen längeren Verlauf der akuten Erkrankungen über vier Wochen hinaus, z.B. durch Lungenentzündung, Herzmuskelentzündung oder andere Organschäden wie Lungenfibrose, Nierenschäden etc.
-
Symptome durch a) das Neuentstehen einer Erkrankung mittel- oder langfristig (Spätschäden) durch SC2 – wie z.B. kardiovaskuläre, zerebrovaskuläre Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Stoffwechselerkrankungen, demenzielle Syndrome oder durch b) die Verschlechterung einer bereits bestehenden Erkrankung
-
Symptome durch Neuentstehung eines postakuten Infektionssyndroms, welches bei SC2 PostCovid genannt wird und länger als 3 Monate anhält
Es können auch Kombinationen aus den drei Gruppen auftreten.
Postakute Infektionssyndrome
Postakute Infektionssyndrome sind nicht neu, sie kommen auch z.B. nach Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV), dem Varicella-zoster-Virus (VZV), dem Coxsackie-B-Virus oder nach Influenza vor. Bei der Entstehung von postakuten Infektionssyndromen spielen neben dem Gefäß-, Gerinnungs-, und (autonomen) Nervensystem vor allem das Immunsystem und der Zellstoffwechsel eine große Rolle.
Zu den postakuten Infektionssyndromen gehört auch ME/CFS. Das ist die schwerste Verlaufsform eines postakuten Infektionssyndroms mit dem Kardinalmerkmal „post-exertional malaise“(PEM) sowie zusätzlich kognitiven Problemen, Schlafstörungen, Schmerzen, Fatigue, Dysautonomie, Immundysfunktionen und evtl. auch neuroendokrinen Störungen über einen Zeitraum von mindestens sechs Monaten bei Erwachsenen.
Versorgung der Betroffenen
Die Menschen aus den Long-Covid-Gruppen 1 und 2 sind – da es sich um bekannte Erkrankungen handelt, für welche es bereits etablierte Versorgungsstrukturen, Leitlinien und Therapien gibt – nach einer genauen Differenzialdiagnostik zumeist in der Regelversorgung gut betreut und versorgt.
Abb. 1: Schnittmengen zwischen Long-Covid-, PAIS(Postakute Infektionssyndrome)- und ME/CFS(myalgische Enzephalistis/„chronic fatigue syndrome“)-Erkrankten: Die Größe der Elemente ist nur eine grobe Darstellung, der Umfang von PAIS ist wegen fehlender Daten unklar
Anders sieht es für Menschen der Gruppe3 aus, hier bestehen die gleichen noch ungelösten Versorgungsherausforderungen wie für alle weiteren vorher beschriebenen postakuten Infektionssyndrome (PAIS). ME/CFS als schwerste Verslausform mit PEM tritt in mind. 80% auch in einer postakuten Infektionsphase auf (Abb. 1). Aus diesem Grund ist es sinnvoll, bei der Schaffung von neuen Behandlungsstrukturen in Österreich gleich alle unversorgten PAIS- und ME/CFS-Erkrankten miteinzubeziehen.
Die Ambulanz, das Kompetenzzentrum oder die Tagesklinik für PAIS müssen dann ins Spiel kommen, wenn sich durch exzellente Differenzialdiagnostik in der Allgemeinmedizin in Kooperation mit den Fachärzt:innen Folgendes herausgestellt hat:
-
dass es sich mit großer Wahrscheinlichkeit um ein postakutes Infektionssyndrom handelt,
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welche Funktionen und Regelkreise im Rahmen des PAIS betroffen sind (autonomes Nervensystem: z.B. posturales Tachykardiesydrom; Immunsystem: z.B. Mastzellenüberaktivierung; Neurokognition, Neuroendokrinologie, Zell- und Muskelstoffwechsel, Gefäße- und Gerinnungssystem: z.B. PEM, Schlaf etc.) und
-
dass das PAIS mit einfachen (medikamentösen) Maßnahmen nicht behandelbar ist.
Bei/in diesen Behandlungszentren braucht es:
Infrastruktur:
-
gesunde Luft: keine Reinfektionen
-
Reizarmut, Stressarmmut, angenehme Raumtemperatur
-
Liegemöglichkeiten
-
einfache Anreisemöglichkeit
Inhaltlich:
-
fächerübergreifendes Wissen zu postakuten Infektionssyndromen
- Ärztliches Personal inkl. Zahnärzt:innen
- Pflegepersonal
- Vertreter:innen aus Gesundheits- und Sozialberufen
-
Hausbesuche
-
Telemedizin (Videokonsultationen, begleitende Apps und Tools, Telemonitoring)
-
die wichtigsten Off-Label-Medikamente durch „IND“ für die Patient:innen leistbar machen
-
Einschluss in aktuelle Studien und wissenschaftliche Datengenerierung
-
soziale Unterstützung, Rechtsberatung
Wie bereits oben erwähnt, der Bedarf, die Dringlichkeit, das Wissen und die Konzepte sind da – jetzt braucht es die Umsetzung!
Postakute Infektionssyndrome und Leitlinie
Langwierige Symptome nach Infektionserkrankungen sind nicht selten. Im Fall von SARS-CoV-2 leiden laut internationalen Metaanalysen etwa 5–10% aller Infizierten an Folgen, die länger als vier Wochen anhalten. Die Long-Covid-Gesamtzahlen sind zwar gesunken, weil nun deutlich weniger schwere Verläufe zu verzeichnen sind (Aufenthalt auf der Intensivstation mit Beatmung und dadurch Organschäden, langwierige Folgen etc.). Demgegenüber steigt jedoch mit jeder Reinfektion das Risiko für Folgeerkrankungen wie kardiovaskuläre/zerebrovaskuläre Erkrankungen, Autoimmunerkrankungen, Diabetes und neurodegenerative Erkrankungen kumulativ an. Diese Folgeerkrankungen von SARS-CoV-2 werden jedoch kaum mehr erfasst. Das Risiko, am postakuten Infektionssyndrom Post Covid zu erkranken, ist leider relativ stabil geblieben bzw. nur gering gesunken.
Von den an Long Covid Erkrankten insgesamt sind ca. 30% nach zwei Jahren noch immer nicht gesund, darunter sehr viele der an PostCovid und v.a. ME/CFS (myalgische Enzephalomyelitis/„chronic fatigue syndrome“) Erkrankten.
Aus diesem Grund ist es sehr wichtig, bei Betroffenen nach einer Infektion mit anhaltenden Gesundheitsproblemen zuerst die Red Flags auszuschließen und danach eine gründliche Differenzialdiagnostik durchzuführen. Hierfür steht seit August 2023 die aktualisierte österreichische „Leitlinie S1 für das Management postviraler Zustände am Beispiel Post-COVID-19“ zur Verfügung, zu der es auch ein praktisches Webtool gibt (oegam.at/artikel/leitlinie-s1-und-webtool).
Literatur:
Bei der Verfasserin
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