„Als Arzt darf man nichts peinlich finden“
Das Interview führte:
Mag. Andrea Fallent
Seine Männersprechstunde in Linz ist seit mehr als 20 Jahren ein „Dauerbrenner“, auf seiner Website erhält man tiefgründige Einblicke ins Mannsein und die damit verbundenen Tabuthemen: Im Gespräch mit ALLGEMEINE+ erzählt der Linzer Allgemeinmediziner und Männerarzt Dr. Georg Pfau von seiner Berufung, die nebenbei bemerkt wohl schon so manche Beziehung gerettet hat.
Der „Männerarzt“ kommt aus dem angelsächsischen Raum, er heißt dort „Men’s Doctor“. Dr. Georg Pfau, Allgemein- und Sexualmediziner in Linz und Autor von mehreren Ratgebern, ist einer von ihnen. In Pfaus Sprechstunden nimmt abgesehen von der medizinischen Komponente vor allem die psychosoziale Dimension des „Mannseins“ eine wichtige Rolle ein. Im Interview verrät Pfau, warum in der Beziehung zwischen Mann und Frau oft mehr als der „kleine“ Unterschied besteht und wie er seine Patienten bei intimen Themen aus der Reserve lockt.
Herr Dr. Pfau, wie sind Sie denn zur Medizin gekommen?
G. Pfau: Ursprünglich hätte ich Steuerberater werden sollen wie mein Vater, aber das hat mich überhaupt nicht interessiert. Biologie und Naturwissenschaften haben mir immer gefallen, zudem haben einige aus meiner Klasse ebenso Medizin studiert. Ich wollte von Anfang an Allgemeinmediziner werden und bin auch ganz schnell in der Praxis gewesen, obwohl ich einige Möglichkeiten gehabt hätte, eine Facharztausbildung zu beginnen. Ich war bereits mit 27 Jahren in der Ordination nach dem dreijährigen Turnus am Linzer AKH.
Sie haben sich auf Männer- und Sexualmedizin spezialisiert. Wie kam es denn dazu?
G. Pfau: Zuerst war ich Männerarzt. Damals wurde in Deutschland an der Hommage-Academy auf Schloss Marbach eine Ausbildung zum Männerarzt angeboten, die ich absolviert habe. Dort hatte man bereits erkannt, dass es einen Bedarf gibt an Ärzten, die sich ganzheitlich den Männern widmen. Denn das männliche Gechlecht ist bei Weitem nicht so stark, wie es in unserer Gesellschaft behauptet wird. 2002 habe ich dann eine Männersprechstunde in Linz etabliert. Meine zweijährige Ausbildung zum Sexualmediziner erfolgte später an der Deutschen Akademie für Sexualmedizin in Düsseldorf.
Nachdem Sie sich auf Männer spezialisiert haben, sind die meisten Ihrer Klienten wahrscheinlich auch Männer? Oder behandeln Sie auch Frauen?
G. Pfau: 99,9% meiner Klienten sind Männer. Frauen spielen aber insofern dabei eine entscheidende Rolle, als sie häufig diejenigen sind, die anrufen, um einen Termin für ihren Partner zu vereinbaren. Wenn man Männer in ihrer Gesamtheit und mit ihren sexuellen Störungen behandeln möchte, dann kommt man schnell darauf, dass man die Frau bzw. die Sexualpartnerin dazu braucht. Sexualmedizin funktioniert nämlich nicht am einzelnen Mann, nicht an der einzelnen Frau, sondern nur in der Paardimension. Daher habe ich bald begonnen, meine Sprechstunde im Dreier-Setting abzuhalten. Zum Erstgespräch kommt dann zwar der Mann allein, damit ich mir ein Bild von der Dimension des Problems machen kann. Aber in weiterer Folge hole ich wie schon erwähnt zumeist auch die Partnerin dazu, weil Defizite in diesem Zusammenhang immer beide betreffen.
Wie schwer fällt es Ihren Patienten, über intime Details und sexuelle Probleme zu sprechen?
G. Pfau: Im Gegensatz zur allgemeinen Ansicht reden Männer im Freundeskreis sehr gerne über Sex, allerdings sehr häufig nicht wahrheitsgetreu. In den Erzählungen gibt es zumeist nur potente Männer. Zwischen Befragungen zu diesem Thema und der Evaluierung der praktischen Wirklichkeit liegen bei Männern laut meiner Erfahrung Welten. Eingeständnisse von sexuellen Defiziten kommen ihnen nur selten über die Lippen. Sie ziehen sich lieber zurück von der Sexualität und lenken sich mit anderen Dingen ab. Das sind – überzeichnet formuliert – die Männer, die sich montags um ihre Briefmarkensammlung kümmern, am Dienstag zum Sportverein gehen, mittwochs politisch engagiert sind, am Donnerstag im Chor singen, am Freitag in der Sauna schwitzen etc. Das geht dann in weiterer Folge soweit, dass sie häufig auch keine Hilfe in Anspruch nehmen. Sie gehen nicht zum Arzt, weil das ja das Eingeständnis eines Defizits wäre.
In der Sprechstunde ist es eine Frage der Gesprächsführung. Als Arzt dürfen Sie nichts peinlich finden, denn dann ist es dem Patienten umso peinlicher. Sie müssen die Dinge auf eine saloppe und freundliche Art und Weise ansprechen und versichern, dass es anderen auch so geht. So kommt man zu dankbaren und treuen Patienten.
Können Sie als Sexualmediziner Beziehungen retten?
G. Pfau: Natürlich, das ist unsere Aufgabe als Sexualmediziner. Der Patient und ich sprechen über Sexualität, aber in Wirklichkeit sprechen wir über Beziehung. Die Paradigmen der Sexualmedizin sind: Nichts ist so wichtig für das Lebensglück wie eine gute Beziehung. Und nichts ist so wichtig für die Beziehung wie eine funktionierende Sexualität. Wir sprechen hier also nicht über die wichtigste Nebensache der Welt. Die Sexualität spielt eine wesentlich größere Rolle, auch im Selbstverständnis unseres Lebens. Wir sind evolutionsbiologisch für nichts anderes da, als unsere Art zu erhalten. Das bedeutet, eine Beziehung geht dann gut, wenn die sexuelle Zufriedenheit für beide Partner gewährleistet ist, nicht zu verwechseln mit sexueller Befriedigung. Denn sexuelle Zufriedenheit führt zu Beziehungszufriedenheit. Sexuelle Unzufriedenheit führt zu einer Destabilisierung der Beziehung und häufig zu einem Aus. Warum verlassen viele Männer in der 5./6. Lebensdekade ihre Frauen, die sie lieben, mit denen sie Kinder haben, mit denen sie ein Haus gebaut haben? Um wieder Sexualität zu erleben. Das könnten sie aber natürlich auch innerhalb ihrer Beziehung haben. Nur bedarf es dafür einer guten Gesprächsbasis mit ihren Partnerinnen. Das ist das, was wir anbieten. Ich habe bei hunderten Paaren die Sexualität wieder angekurbelt, nachdem sie komplett eingeschlafen war. Das festigt ganz massiv die Beziehung. Manchmal gelingt das schon in der ersten gemeinsamen Sitzung, manchmal braucht man sechs, sieben Sitzungen dafür.
Wie wichtig ist Sexualität für die physische und psychische Gesundheit? Nimmt diese Bedeutung mit zunehmendem Alter ab?
G. Pfau: Bei dieser Frage muss ich weiter ausholen, obwohl sie einfach zu beantworten ist. Wir sind von der Wiege bis zur Bahre sexuelle, aber auch soziale Wesen. Wir verändern mit der Zeit nicht unsere Sexualität, wir verändern allenfalls unsere sexuellen Bedürfnisse. Sehr wichtig ist dabei, wie Sexualität definiert wird. Sexualität ist intimes Zusammensein. Der größte Fehler ist, sie mit Geschlechtsverkehr gleichzusetzen. Die Bedeutung des Geschlechtsverkehrs für das Lebensglück wird massiv überschätzt, während die Bedeutung der Zärtlichkeit massiv unterschätzt wird. Und auch mit 85 kann man zumindest immer noch kuscheln.
Dr. Pfau in seiner Allgemeinpraxis in Linz, in der er auch Männersprechstunden anbietet.
Die soziale Dimension ist sehr wichtig. Sexualität ist eine Form der Kommunikation, die psychosoziale Grundbedürfnisse wie Liebe, Vertrautheit, Zusammengehörigkeit, Geborgenheit erfüllt. Viele Depressionen bei Frauen ab einem bestimmten Alter sind meiner Meinung nach auf fehlende Intimität in der Beziehung zurückzuführen. Intimität ist die größte Wertschätzung, die man einem Menschen entgegenbringen kann. Das führt zu dem Gefühl, ein liebenswertes, begehrenswertes, erotisches Wesen zu sein.
Auch ein Kuss ist bereits Intimität. Und für viele Frauen beginnt die Sexualität auch damit. Für viele Männer bedeutet Sexualität nur Penetration – was für ein Irrglaube! Es gibt sehr viele Paare, die keinen Geschlechtsverkehr haben, aber dennoch eine sehr rege Sexualität. Es geht darum, dem Partner auf eine intime und leidenschaftliche Weise Wertschätzung entgegenzubringen. Inwieweit dieser Status erreicht ist, wird in der Sitzung evaluiert. Und auch was das Paar tun kann, um ihn zu erlangen. Die Sexualtherapie ist eine auf Sexualität fokussierte Psychotherapie in der Paardimension. Wir sind keine Psychotherapeuten, wir sind aber dafür ausgebildet, ganzheitliche Gespräche über Sexualität zu führen.
Was sollten Allgemeinmediziner über Sexualmedizin wissen, was sollten sie bei ihren Patienten automatisch ansprechen?
G. Pfau: Grundsätzlich sollte man Allgemeinmediziner unbedingt bereits im Studium in Sexualmedizin unterrichten. Das geht nicht in einer Stunde oder zwei. Denn viele Ärzte haben ja genau dieselben fehlerhaften Vorstellungenvon Sexualität, die ich bereits angesprochen habe. Das ist ein großes Manko in der Ärzteausbildung. Die Verordnung von Viagra ist nur bedingt Sexualmedizin. Viele trauen sich auch gar nicht zu, das Thema Sexualität anzusprechen. Es ist eine Tabuzone. Es wäre schon gut, wenn man seine Patienten fragt, wie es ihnen denn zu Hause geht.
Viele Patienten, die zu mir kommen, waren ja vorher bei anderen Fachleuten, mit denen sie aber keine Gesprächsbasis gefunden haben. Das liegt wohl vor allem daran, dass viele sich nicht die Zeit dafür nehmen – die Sexualmedizin ist zeitintensiv. Dabei wäre es so wichtig, diesen Aspekt in die Allgemeinmedizin einfließen zu lassen. Mit der Ausbildung – gute Vortragende vorausgesetzt – ändert sich natürlich auch die eigene Sicht auf die Sexualmedizin. Ich habe davon selbst sehr profitiert, mir wurden die Augen geöffnet.
Wie wirken sich die Einflüsse von Social Media Ihrer Meinung nach auf die sexuelle Gesundheit aus?
G. Pfau: Die Sexualität, wie sie sich uns heute darbietet, ist meiner Meinung nach so schlecht wie noch nie. In den sozialen Medien werden Paradigmen erfunden bzw. bekräftigt, die eigentlich schon längst als überholt gelten. Der Leistungsdruck bezüglich Schönheit bzw. Körperlichkeit ist enorm. Die Frage, wie man aussehen muss, um sich sexuell attraktiv zu finden, beherrscht alle Altersgruppen, was natürlich den Selbstwert extrem beeinflusst. Wir haben das Problem, dass sich die Sexualität nicht im Sinne einer Enttabuisierung und auch nicht bezüglich der Bedürfnisse verbessert. Die Sexualität geht immer weiter weg von den eigentlichen Bedürfnissen, sie wird technisiert. Meiner Meinung nach gehen damit die Grundsätze der Sexualität den Bach hinunter, in eine völlig falsche Richtung.
Bei Frauen wird regelmäßig über die Vor- und Nachteile der menopausalen Hormontherapie gesprochen. Wie geht es den Männern? Welche Rolle spielen das Testosteron und seine Substitution bei Ihnen in der Praxis?
G. Pfau: Die Aufrechterhaltung eines adäquaten Testosteronspiegels bei Männern durch die Jahre halte ich für eine wichtige Sache im Sinne der Aufrechterhaltung von Vitalität. Ich sehe so viele Männer, bei denen ich mir denke, gebt ihnen doch ein wenig Testosteron und es wird ihnen viel besser gehen. Das betrifft die Muskulatur, die Stimmung, da geht es um Lebensfreude. Ich weiß, dass es viele Ärzte gibt, die diesem Thema nicht einfach gleichgültig, sondern feindlich gegenüberstehen. Ich muss mich noch immer rechtfertigen, wenn ich Männern Testosteron gebe. Das typische männliche Burnout ist eigentlich ein Synonym für männliche Depression. Und die männliche Depression ist oft ein anderes Wort für Testosteronmangel – in sehr vielen Fällen. Ich denke, dass die Thematik Testosteron definitiv unterbewertet wird, dass diesbezüglich ein Wissensmanko herrscht und dass es in der Gesellschaft eine nahezu feindliche Beurteilung von Testosteron gibt, weil man glaubt, dass das Hormon den Mann toxisch macht.
Welche Symptome sprechen für einen möglichen Testosteronmangel?
G. Pfau: Das Leitsymptom für einen Testosteronmangel ist die Verminderung der sexuellen Appetenz, also Libidoverlust. Weiters gibt es die psychosozialen Symptome wie schlechter Schlaf, Müdigkeit, Antriebslosigkeit und als Folgen von Testosteronmangel Muskelschwund, Osteoporose, körperliche Schwäche. Testosteron und körperliches Training können das sehr häufig verhindern.
Wie können Männer auf natürliche Weise ihre Testosteronproduktion ankurbeln?
G. Pfau: Der gesunde Mann, der über einen ausreichenden Testosteronspiegel verfügt, ist schlank, macht regelmäßig Ausdauertraining, ein wenig Krafttraining, pflegt seine Sexualität und seine sozialen Kontakte, trinkt möglichst wenig Alkohol, raucht nicht und konsumiert vor allem kein Cannabis. Leider ist das vor allem unter jungen Leuten weit verbreitet und wirklich kontraproduktiv. Je höher der Bauchumfang und der Alkoholkonsum, desto schlechter fällt die Testosteronproduktion aus, weil das die Umwandlung von Testosteron in Östrogen katalysiert. Und natürlich wird die Produktion auch mit zunehmendem Alter weniger, 1,2% pro Jahr. Ein 50-Jähriger hat dann nur noch ein Drittel der Testosteronkonzentration eines 17-Jährigen.
Herzlichen Dank für das Gespräch!
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